In diesem Wort von Novalis, das Thomas Bernhard seinem Stück Der Ignorant und der Wahnsinnige – von Karl-Ernst Herrmann zusammen mit Claus Peymann bei den Salzburger Festspielen denkwürdig uraufgeführt – als Motto voranstellt, sehe ich die schöne und sehr persönliche Gesetzmäßigkeit seiner ganzen Arbeit und vielleicht auch seines Lebens formuliert.
Ich glaube mehr denn je, das Geheimnis von Karl-Ernst Herrmanns Arbeit ist Musik, sein Herz für Musik. Mit Musik fing doch einst in Ulm alles an. Mit Musik. Freilich Musik nicht als atmosphärische Stimmung verstanden, sondern vielmehr als eine Kunst, in der größte Phantasie und höchstes Formbewußtsein auf ideale Weise verbunden sind.
Karl-Ernst Herrmann vermochte Zeichnungen und Bilder und Räume von der innigen Ausdruckskraft eines Schubert-Liedes zu machen und mit der klaren Strenge einer Bachschen Fuge.
Er vermochte die suggestivsten und offensten Bühnenräume zu erfinden, die gerade durch Schauspieler und Sänger und deren Spiel erst zu ihrer Vollendung kamen. Mit seiner einzigartigen, den ganzen Kosmos der Kunstgeschichte und Theatertradition umfassenden Phantasie konnte er ganz selbstverständlich und mit feinster Leichtigkeit genau das praktizieren, was der große Architekt und Bühnenbildner Karl Friedrich Schinkel einst so lapidar formuliert hat:
Keine Maskerade – das Notwendige der Konstruktion schön zu gestalten ist Grundsatz …
Ja, so war es, so ist es bis zum letzten Augenblick gewesen.
Karl-Erst Herrmanns erstes Bühnenbild, das ich als Dramaturg erlebt habe: das war ein Bett nur in einem wunderschönen Himmel, das Zimmer in einem Krankenhaus, vor Jahrzehnten im theaterseligen Stuttgart, Himmel und Erde von Gerlind Reinshagen. Das letzte Bühnenbild, das ich, nun als Zuschauer, erlebt habe, wiederum in Stuttgart und wiederum mit Peymann: ein großer, dunkler, magischer Guckkasten, der alles möglich macht, das monströs grausame und das schmerzlich zarte Spiel. In diesem Raum für Shakespeares König Lear sind alle und alles nackt ausgesetzt – Lear, Cordelia, Gloster …, aber auch die Zuschauer werden von der furios wütenden Gewalt des Sturms ebenso ergriffen. Und wieder sind es die einfachsten Mittel mit der stärksten Wirkung. Wie die Gesetzmäßigkeit und Kraft der Musik. Mozart ist das Beispiel. Bei Mozart ist keine Note zu viel und keine Note zu wenig und jede Note drückt alles aus. So war Mozart für Karl-Ernst Herrmann Maßstab und eine wahre Inspiration. Nur Mozart konnte ihn zu Regie und zur Oper bewegen. Seine erste Operninszenierung in Brüssel, zusammen mit Ursel Herrmann, Mozarts La Clemenza di Tito war ein pures Wunder, eine Offenbarung und wurde zu Recht ein europäisches Ereignis. Karl-Ernst Herrmann schöpfte aus der Kunstgeschichte, aus der Architektur, aus dem Handwerk, aus der Druckkunst. Doch nie als Nachahmer, immer als ein Erfinder. Deswegen steht er einzigartig in der Tradition der großen Bühnenbildner. Er war immer mehr als ein Bühnenbildner. Er war ein Poet.
Seine Bühnenbilder für Schauspiel und Oper auf allen großen und kleinen Bühnen Europas erzählen auf poetische Weise von unserer Welt, von ihren Schönheiten und ihren Schrecken. Seine Räume imaginieren Epochen, seine Straßen führen in die Unendlichkeit, seine Bäume und Wälder sind Seelenlandschaften, aus einem einzigen Wort wird bei ihm ein wundersam bespielbares Gedankengebäude. Sein Instinkt für genaue Proportionen, richtige Perspektiven und das absolut richtige Detail war untrügerisch. Und konnte doch auch überwältigend verspielt sein. Wie oft versteckte er ein Vogelnest in seinen Bühnenbildern als ein kleines Rätsel! Ach, hätten sich dieses Wissen und diese Spielfreude doch einmal im Bau eines neuen Theaters bewähren dürfen!
Das Bühnenbild war für ihn immer mehr als nur Theater. Mit seinen Bühnenbildern, seinen Figurinen, seinen Zeichnungen, seinen subtilen graphischen Arbeiten dachte er über die ganze Welt nach. Insgeheim war es ein Nachdenken auf zutiefst melancholische Weise. Eine Melancholie, die sich unversehens für einen Augenblick offenbarte, wenn Karl-Ernst Herrmann Gedichte von Thomas Bernhard, dessen Lyrik er liebte, zitierte:
vor der Rose der Dorn,
vor dem Licht der Schatten,
vor dem Altern der Tod …
du in deinem Schatten,
du in deinem Aufwachen,
du in deiner Zeit,
du in deinem Ruhm,
du in deinem Wort,
du
Hermann Beil