Zu den kreativen Konstrukteuren unter den Architekten, die der Baukunst neue Möglichkeiten eröffnet haben, gehört auch der Münchner Kurt Ackermann. Was er als freier Architekt geschaffen hat, geht aber über das Inventorische weit hinaus. Sein Werk ist von einer fast universellen Vielgestaltigkeit. Neben Wohn-, Verwaltungs- und Schulbauten hat Ackermann in den rund 50 Jahren seines Schaffens mehrere Kirchen, eine ganze Reihe von Brücken, Fabrik- und Messehallen, Technikbauten, Sportanlagen, Entsorgungseinrichtungen und sogar ein gewaltiges Zementwerk errichtet und dabei auf fast all diesen Gebieten Überragendes geleistet.
Wie elegant und klug sich die Wohnbauten Ackermanns in die Landschaft schmiegen, läßt sich besonders schön an seinem eigenen Wohnhaus studieren. Das Haus auf der Leitenhöhe über dem Ammersee besteht im Grunde aus zwei übereinanderliegenden Erdgeschossen: Das obere öffnet Sich rückwärts zur Straße hin, das untere nach vorn zum Steilhang. Die zur Aussicht sich öffnenden Glaswände sind des Sonnenschutzes wegen ein Stück weit in den Baukörper zurückversetzt und exakt in fünf gleiche Achsfelder aufgeteilt. Sie zeigen also eine klare symmetrische Ordnung. Und da im unteren Geschoß die beiden äußeren Kompartimente nicht verglast, also zur Landschaft hin offen sind, bietet sich der Baukörper mit seinem Flachdach dem Betrachter als ein plastisch durchmodellierter, durchrhythmisierter Kubus von großer grafischer Klarheit dar. Bei den großen Wohnanlagen der sechziger bis achtziger Jahre – in Berlin am Kulturforum oder in München an mehreren Stellen – hat Ackermann den Häusern mit Balkonen, Terrassen und Wintergärten eine so lebendige Plastizität und Tiefenräumlichkeit verliehen, daß sie bis heute einladend und lebendig wirken und mit dem umgebenden Grün bestens harmonieren.
Ackermann konnte aber auch der Garant für fast körperlose Konstruktionen sein. Die Expo-Halle, die größte Halle auf dem Messegelände von Hannover, überspannt bei stattlichen 18 Metern Höhe stützenfrei die riesige Fläche von drei Hektar Land und bietet 16000 Besuchern Platz. Das schier endlos in die Weite und die Länge sich dehnende Flachdach ruht auf lediglich sechs an den Längsseiten angebrachten Stützen, so daß die Außenwände in ganzer Höhe verglast werden konnten, also sich quasi selber auflösen.
Mit vergleichbarer Leichtigkeit und Eleganz hat Ackermann auch anderswo ungewöhnliche Räumlichkeiten zu charakteristischen Einheiten zusammengefaßt: etwa in dem lang gezogenen, beidseits durchgehend verglasten Konstruktionsbüro der Firma Gartner in Gundelfingen, in der Offiziersschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck oder am Technikgebäude der Universität Kassel, bei dem extrem unterschiedliche Höhen bewältigt werden mußten.
Schon zu Lebzeiten Geschichte gemacht hat Ackermann mit einigen in kreativer Zusammenarbeit mit Ingenieurbüros ertüftelten Konstruktionen. Da ist zum Beispiel das Eislaufzelt auf dem Münchner Olympiagelände zu nennen, das die Stadt gerne aus dem Gesamtkunstwerk des Olympiaparks herausschneiden würde, um den Grund möglichst gewinnbringend zu vermarkten. Die von Ackermann entwickelte avantgardistische Konstruktion hat es möglich gemacht, das riesige Dach über der Eislauffläche an einem einzigen Stahlbügel, einem Bogen, der das ganze Gebäude überfängt, so aufzuhängen, daß es ohne sichtbare Stützen frei und quasi schwerelos über der Halle schwebt. Auf ähnliche Weise vermögen die in Absprache mit dem Ingenieurbüro Jörg Schlaich entwickelten Brückenkonstruktionen Ackermanns die Beobachter zu verblüffen. Die in einer halbkreisförmigen Kurve den Main-Donau-Kanal ohne Stützen überquerende Fußgängerbrücke bei Kelheim hängt statisch so eigenwillig an einem Stahlseil, das zwischen zwei schräg gestellte Masten gespannt wurde, daß man nur staunen kann, welch abenteuerliche Wege die Kräfteströme gehen, wenn die Konstruktion ein wenig in Bewegung versetzt wird.
Daß technisch durchdachte Konstruktionen auffallend schön sein können, dafür sind die Silotürme im Zementwerk Märker in Harburg oder die skulptural ummantelten Faultürme in den Münchner Kläranlagen eindrucksvolle Beispiele. Wer auf der Nürnberger Autobahn aus München herausfährt und links das Allianz-Stadion im Blickfeld hat, der sieht auf der rechten Seite über der Lärmschutzwand vier aluminiumglänzende Kegel hochragen, die wie Kristalle im Licht aufleuchten. Es sind die Faulbehälter des Klärwerks Großlappen, also vier jener gigantischen Betonbirnen, die anderswo in abstoßender Häßlichkeit herumstehen. Ackermann hat sie zu einem Drittel im Boden versenkt und oben stereometrisch so lebendig verkleidet, daß man sie als architektonische Schmuckstücke am Straßenrand empfindet.
Fazit: Konstruktionen, die ihrer speziellen Funktion auf ideale Weise gerecht werden und mit ihrer Sonderformhohen ästhetischen Ansprüchen gerecht werden, scheinen eine Spezialität des Mannes gewesen zu sein, der am am 6. Mai 2014 in Herrsching im Alter von 86 Jahren verstorben ist.
Gottfried Knapp
Der Nachruf basiert auf einem Text, welcher im Mai 2014 in der Süddeutschen Zeitung erschien.