Die große Tradition der deutschsprachigen böhmischen Literatur, die ihre Höhepunkte in Rilke einerseits, Kafka andererseits fand, ist mit dem Ende des zweiten Weltkrieges untergegangen. Barbara König, 1925 in Reichenberg in Böhmen geboren, also knapp nach dem Untergang jenes schon lang zerfallenden Reiches, dessen Werk man erst danach erkannte, war wohl eine der letzten dieser Tradition.
Zweisprachig aufgewachsen, geriet sie im Krieg wegen einer Herzensaffäre in die Fänge der Gestapo, entkam aber, ebenso der Verfolgung durch die kommunistischen Tschechen und floh nach Bayern. Mit Arbeiten als Journalistin, u. a. bei der seinerzeit wichtigen Neuen Zeitung, verdiente sie ihren Lebensunterhalt, bis sie sich 1958 als freie Schriftstellerin in Dießen niederließ, unterbrochen von Auslandsaufenthalten, auch einer Gastdozentur in den USA.
Ihr 1965 erschienener Roman Die Personenperson machte sie überregional bekannt. Der Roman ist die kunstvolle Aufsplitterung einer autobiographischen Erzählfigur in mehrere, zum Teil gegensätzliche Facetten. Der Roman wurde in mehrere Sprachen, u. a. ins Tschechische übersetzt. Der 1980 erschienene Roman Der Beschenkte behandelt das selbstlose Opfer eines Mannes, der anstatt eines Familienvaters im KZ in den Tod geht.
Barbara König war eine der wenigen Frauen, die Mitglieder der Gruppe 47 waren, 1997 legte sie ihre Erinnerungen daran und an Hans Werner Richter (Notizen einer Freundschaft) nieder. Ergänzt ist ihr Werk durch Essays und Hörspiele.
Barbara Königs Arbeiten zeichnen sich durch eine klare, unprätentiöse Sprache aus, die die Klangfarbe der Nachkommen der Donaumonarchie nicht verleugnet. Ihre Arbeiten – alles realistische, geradlinige Prosa – sind Beispiele dafür, daß man schlicht und menschlich schreiben kann, ohne den Anspruch aufzugeben, modern zu sein, d.h. ohne zu vergessen, daß man im 20. Jahrhundert, in der Zeit nach zwei verheerenden Weltkriegen lebt. Diese beiden Kriege, das Leid der Menschen, aber auch unterschwellig der Zerfall der heimeligen, vielschichtigen Vielvölkerkultur des Donauraumes ist im Wesentlichen die erzählerische Welt Barbara Königs.
Barbara König war seit 1984 Mitglied unserer Akademie sowie seit 1973 der Akademie der Wissenschaft und Literatur in Mainz, zeitweilig deren Vizepräsidentin. Sie erhielt mehrere Preise, darunter 1965 den Charles-Veillon-Preis, war zweimal Ehrengast der Villa Massimo in Rom. Sie starb am 22. Oktober 2011 in Dießen am Ammersee.
Herbert Rosendorfer