Am 15. Juli 2014 starb im Alter von 76 Jahren in Pukanec der slowakische Schriftsteller, Dichter und Literaturwissenschaftler, korrespondierendes Mitglied der Bayerische Akademie der Schönen Künste, Ivan Kadlečík.
Kurz vor seinem Tod schrieb Kadlečík für das Feuilleton der slowakischen Tageszeitung SME seinen letzten Satz: »Die Zeit, die es noch nicht gab, hat nie Respekt vor unseren Vorhaben, Plänen und Hoffnungen gehabt. In Gegenteil: Mit einer erschreckenden Boshaftigkeit verwandelte sie unsere Träume in Schutt und Asche.«
Vor dieser Art von gemeiner Boshaftigkeit, die die denkenden Menschen im sogenannten Sozialismus mit menschlichem Antlitz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in der Slowakei erleben mußten, rettete sich der »verbotene Dichter« Kadlečík von den Folgen des auch für die Slowaken tragischen August 1968 bis in die wunderliche Tage der tschechischen sanften Revolution im Spätherbst 1989 in der Eisamkeit des Exils. Kadlečíks Exil lag jedoch nicht im Ausland,sondern in seinem Haus in Pukanec, in seinem mit Büchern und Manuskripten vollgestopfen Arbeitszimmer, in seinen tiefen, in vier Jahrhunderten verwurzelten evangelischen Glauben, in seinem literarisches Werk und als Organist in der örtlichen evangelischen Kirche.
»Ich fühle mich auch mit meinen Vorfahren verbunden, ich identifiziere mich mit ihnen. Mein Erbe sind ihre Ideen und ihre Vorhaben, die sie nicht mehr schafften zu vollbringen«, schrieb Kadlečík in der Zeit der schlimmen, von den herrschenden Kommunisten unter Moskaus Kommando auch mit Gewalt in den Jahren 1968 bis 1989 durchgeführten, sogenannten »Normalisierung der öffentlichen Lebens«.
»Ich fühle mich auch als Verwalter von Testamenten,« schrieb Kadlečík weiter, »die meine Vorfahren dem slowakischen Volk hinterlassen haben. Und mein Bemühen, der freien slowakischen Literatur zu dienen, beschenkte und bereicherte mich mitten in meiner Umwelt voll von Lüge mit Freiheit.«
Ivan Kadlečík stammt aus einer vom hussitisch-protestantischen Glauben geprägten Familie, deren Prediger und Pfarrer fest mit der slowakischen Kultur und Sprache verbunden waren. Das war in der Slowakei, ab dem 11. Jahrhundert von Oberungarn und vor allem vom 16. Jahrhundert bis 1918 unter Budapests Herrschaft rücksichtslos »madjarisiert«, eine bis heute in Europa nicht wahrgenomenne Kulturtat. Es waren die unzähligen slowakischen Kadlečíks, vor allem evangelische Prediger, die im 19. Jahrhundert die slowakische Sprache, gestützt auf die im 15. Jahrhundert ins Tschechische übersetzte Bibel, erneuerten und im 19. Jahrhundert durch die damalige tschechische nationale Wiedergeburt inspiriert die slowakische Literatur und Dichtung gründeten.
Die achtzehn Werke, die Ivan Kadlečík in seinem Exil in der slowakischen Kleinstadt Pukanec über zwanzig Jahre hinweg schrieb und bis 1989 zum Teil nur im Prager Untergrundverlag »Edice Petlice« dreißigmal abgeschrieben publizieren durfte, sind heute ein Bestandteil der zeitgenössischen slowakischen Literatur, deren Tradition Ivan Kadlečík eng verbunden war. Sein Tod ist für die slowakische Literatur ein Verlust, sein Werk ist und bleibt ihre Bereicherung.
Ota Filip