Mit Tadeusz Różewicz ist nun der letzte große Dichter der unmittelbaren Nachkriegszeit gestorben – nach Czeslaw Milosz, Zbigniew Herbert und Wislawa Szymborska. Nur Julia Hartwig, die erst spät bei uns entdeckt wurde, erinnert noch an diese Generation, die auf ganz verschiedene Weise der polnischen Poesie die höchste Anerkennung in der Welt verschafft hat. Milosz, der in Kalifornien lebende Intellektuelle, der als ein von der kommunistischen Regierung enttäuschter Diplomat sein Land von außen begleitet hat, und Wislawa Szymborska aus Krakau haben den Nobel-Preis erhalten, Zbigniew Herbert, dem Weltenbummler, hat man ihn von Herzen gegönnt.
Der kleine Herr Tadeusz hat einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, er war in jeder Hinsicht ein Einzelgänger. Als junger Mann, der Kunstgeschichte studieren wollte, hat er bei den Partisanen gegen die deutsche Besatzung gekämpft, ein Bruder von ihm ist von den Deutschen erschossen worden. „Einst – schrieb er einmal – war die Kunst nicht von der Religion getrennt, sie präsentierte kein eigenes, laizistisches Schönes. Das Sacrum und das Schöne waren eins. So war es in der Malerei und Bildhauerei des Mittelalters, im Trecento und so weiter. Seit der Renaissance entwickelte das Schöne ein Eigenleben, es nabelte sich vom Sacrum ab.“ Das Schöne und das Wahre gingen eigene Wege.
Unter dieser Voraussetzung hat Różewicz sein Schreiben gesehen. Als er 1968 in Berlin beidem berühmten Kolloquium „Ein Gedicht und sein Autor“ zusammen mit Zbigniew Hebert auftrat, las er folgendes Gedicht vor, auf deutsch, das dieser Dichter sehr gut beherrschte: „Meine Lyrik/übersetzt nichts/erklärt nichts/verzichtet auf nichts/erfasst keine Ganzheit/erfüllt keine Hoffnung/...sie unterliegt sich selbst/sie hat viele Aufgaben/die sie nie erfüllt. “Mit diesem Bekenntnis hat Tadeusz Różewicz nach dem Krieg angefangen. Seine spröde Lyrik, die auch bei uns viele Leser fand, soll im Leser entstehen und Folgen haben, der Dichter soll die Welt nach dem Tode Gottes nur benennen.
Einem größeren Publikum ist Różewicz durch seine Theaterstücke bekannt geworden, die in der Schublade „Absurdes Theater“ schlummern, wo auch die frühen Stücke von Ionesco oder Beckett liegen. Aber das Theater hat ihn vergessen, weil es das kürzeste Gedächtnis hat... Als Tadeusz Różewicz einmal nach München kam und den Meldezettel im Hotel ausfüllte, schrieb er in der Spalte Beruf: Dichter. Daraufhin bat ihn der Concierge, seine Rechnung im voraus zu bezahlen. Ob es tatsächlich an der anstößigen Berufsbezeichnung lag oder an der polnischen Staatsbürgerschaft, wissen wir nicht, ich weiß nur, daß Różewicz auch diese Demütigung durch einen Deutschen überstanden hat, wie er eben so vieles andere in seinem langen Leben überstanden hat. Wir verlieren mit ihm nicht nur unser letztes polnisches Mitglied, die Welt verliert einen bedeutenden Dichter.
Michael Krüger