Václav Havel, der Dichter und Politiker, lebte mit der Wahrheit und in der Wahrheit. Er hat den Niedergang der tschechischen Demokratie in der Zeit der kommunistischen Herrschaft in den Jahren von 1948 bis 1989 schmerzlich erlebt, und die Aufgabe, die ihm die Geschichte seines Vaterlandes in der Zeit nach der Prager Samtenen Revolution im Spätherbst 1989 aufbürdete, hat er mit Mut bewältigt. Die gewaltlose Erneuerung der tschechischen Demokratie nach 41 Jahren kommunistischer Herrschaft im Spätherbst 1989 ist vor allem Havels Verdienst und – ich wage es zu sagen – die glorreichste Epoche seines Lebensweges.
Seit 1968 war Václav Havel der führende Kopf des tschechischen intellektuellen Widerstandes gegen das Prager totalitäre Regime. Havel wurde in den Jahren nach 1968 fünfmal als Staatsfeind verurteilt, insgesamt fünf Jahre saß er in kommunistischen Gefängnissen. In den kurzen Zeiten, die er, ständig von der geheimen Polizei überwacht, in der vermeintlichen Freiheit in einer angeblich klassenlosen Gesellschaft als ein rechtloser Bürger lebte, schrieb er mehrere in der ganzen westlichen Welt aufgeführte Theaterstücke, die ihm literarischen Ruhm und Anerkennung brachten. 1989, kurz nachdem Václav Havel wieder aus dem Gefängnis entlassen worden war, erhielt er in Abwesenheit in Frankfurt den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Ich habe nachgezählt: Nur die Aufzeichnung von Havels Ehrungen, Preisen und Doktortiteln umfaßt in der tschechischen Sprache 18 kleingedruckte Zeilen …
Dana Němcová, nach dem Scheitern des Prager Frühlings 1968 und nach der Okkupation des Landes durch die Sowjets Havels Mitstreiterin im Prager intellektuellen »Untergrund« und Sprecherin der Charta 77 – Havel zählte zu den drei Initiatoren dieses wichtigsten Manifestes der tschechischen geistigen Opposition ‒, charakterisiert den Dissidenten und nach der Samtenen Revolution ersten Staatspräsidenten der erneuerten tschechoslowakischen Demokratie als einen Menschen und Schriftsteller, der alle Lügen und Entwürdigungen, mit denen ihn die kommunistische Parteipropaganda mehr als zwanzig Jahre lang verleumdete, mit Würde und ohne auch nur mit einem Gedanken an Rache ertrug.
»Wir sind anders als die, die heute oben sind«, wiederholte Havel mehrmals.
Václav Havel wurde im Jahr 1936 als erster Sohn der Prager einflußreichen, reichen, großbürgerlichen Familie geboren. Mit dem Beginn der kommunistischen Herrschaft im Februar 1948 wurde der gesamte Besitz der Familie Havel, unter vielem anderen die Prager Filmstudios Barrandov und der Vergnügenskomplex des Palais Lucerna am Prager Wenzelsplatz, verstaatlicht. Der junge Václav durfte als Sprößling einer bourgeoisen Familie nach Beendigung der Grundschule im sogenannten sozialistischen Staat keine weiterführende Schule besuchen, er schlug sich, um eine Abendschule finanzieren zu können, in Prag als Taxifahrer durch. Nach zwei Jahren Militärdienst wurde er auf zwei kleinen Prager Theatern Kulissenschieber und schrieb sein erstes, erfolgreiches Theaterstück – »Das Gartenfest«. In den vier Jahren des Prager Vorfrühlings durfte Havel 1966 an der Prager Theaterhochschule seine Abschlußprüfung ablegen. Das Jahr des – leider – gescheiterten Prager Frühlings 1968 öffnete Havel und seinen Theaterstücken den Weg auf alle führenden Bühnen in der Tschechoslowakei und auch im Ausland.
Nach Havels Tod am 18. Dezember 2011 fing in den tschechischen Medien eine breitangelegte Diskussion über sein politisches Wirken und seinem Einfluß als Staatspräsident in den Jahren 1989-1992 und von 1993 bis 2003 und als »moralische Institution« an.
Die in der tschechischen Presse, im Rundfunk und im Fernsehen leidenschaftlich für oder gegen Havel geführte Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, eines ist aber schon sicher: Alle, Havels Befürworter und auch seine Gegner, sind sich jedoch einig: Nach Tomáš G. Masaryk, dem Gelehrten und Professor, 1918 Begründer des tschechoslowakischen Staates, ist der Theaterautor Václav Havel der zweite ruhmreiche tschechische Präsident, der in die Geschichte des Landes eingeht.
Ota Filip