Ilse Aichinger ist eine der bedeutendsten Autorinnen der Gegenwartsliteratur. Für ihren frühen Roman „Die größere Hoffnung“, ihre Gedichte, Hörspiele und Prosastücke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen, u. a. den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und den Großen Österreichischen Staatspreis. Die Ausstellung ist Ilse Aichinger zu Ihrem 85. Geburtstag gewidmet.
Stefan Moses, geboren 1928 – zweifellos der Porträtist der Künstler und Intellektuellen – wurde zu dem Chronisten der deutschen Nachkriegsgesellschaften des 20. Jahrhunderts. Alle seine „fließenden Fotografien“ verknüpfen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – wie auch hier in seinen Begegnungen mit Ilse Aichinger seit den 70er Jahren. Diese vereinigten Folgen führen Life- und Konzeptfotografie in eine neue Bildsprache. Aichinger-Texte mit den Moses-Bildern verbunden geraten zur einmaligen glücksfälligen Hommage für die 85jährige Kultautorin.
Am Dienstag, 14. November 2006, werden Mitglieder der Akademie aus Ilse Aichingers Werken lesen.
Heu,
Heu in den Kinderscheuern,
wo zu verbrennen
oder sich für immer zu verlieren
gleich leicht ist.
Gebündeltes Heu, Heu auf den Feldern,
Heu als die bei der tödlichen Vielfalt
der Möglichkeiten gerade so
zueinander gegebenen Buchstaben,
diese Richtung,
aber keine andere.
Heu, das im Wind fliegt,
auf den dürren Stoppeln bleibt,
für immer von den anderen getrennt,
das den Schnee erwartet,
der ihm den Himmel nehmen wird,
sein unbewegtes, mattes Ebenbild.
Die Gewißheit, daß es keinen Trost gibt,
aber den Jubel,
Heu, Schnee und Ende.
ILSE AICHINGER