Petra Morsbachs Essay Über die Wahrheit des Erzählens, 2006, ist eine facettenreiche Einführung in die hohe Kunst des Lesens. Der Autorin ist für dieses Buch soeben der renommierte Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung zuerkannt worden.
»Was macht unsere Sprache mit uns? (…) Warum hat es eine solche Bedeutung, wie wir unsere Erlebnisse erzählen, obwohl wir doch scheinbar reden können, wie’s uns paßt? Nehmen wir mehr wahr, als wir wahr haben möchten?« Fragen wie diese stellt Petra Morsbach nicht nur sich selbst und uns Lesern, sondern auch den Autoren dreier prominenter Prosawerke der Nachkriegsliteratur. Es sind Alfred Andersch mit seiner Erzählung Der Vater eines Mörders, Marcel Reich-Ranicki mit seiner Autobiographie Mein Leben sowie Günter Grass mit seinem Roman Die Blechtrommel. Petra Morsbach geht mit einer atemberaubenden, einer geradezu visionären Genauigkeit durch die drei Bücher, die durch die Bestsellerehren, die ihnen zuteil wurden, fast schon unsichtbar geworden sind. So ist es verblüffend, wie feinfühlig Petra Morsbach das Erzählen etwa von Günter Grass »durchschaut« – und das, bevor der Nobelpreisträger seine SS-Zugehörigkeit bekannt hat. Offenbar gibt es eine Wahrheit des Erzählens, die mehr zu wissen scheint als der Erzähler selbst: »Nicht, daß er die Wahrheit verschleiert, ist das Frappierende, sondern daß er sich selbst des Verschleierns überführt.« Hermann Wallmann