Josef Anton Riedl, in München geboren, studierte bei Hermann Scherchen und wurde von Carl Orff gefördert. Seit Beginn der fünfziger Jahre komponierte er Werke mit konkreten und später elektronischen Klängen. 1959 initiierte er die Gründung des Siemens-Studios für elektronische Musik in München und übernahm dessen künstlerische Leitung. 1960 rief J. A. Riedl die Veranstaltungsreihe Klang-Aktionen Neue Musik München ins Leben (Konzerte, Ausstellungen, Projekte für Kinder und Behinderte); von 1974–1982 leitete er das Kultur Forum der Stadt Bonn. Seit 1998 gestaltet und organisiert er Programme für die musica viva/Bayerischer Rundfunk in München. Josef Anton Riedls kompositorische Arbeit umfasst Musik für Konzert, Film und Theater, Klanginstallationen, Multimedia und Lautpoesie. Er arbeitete mit Filmemachern (Edgar Reitz, Alexander Kluge), Theaterregisseuren (Fritz Kortner, Franz Xaver Kroetz), Malern, Schriftstellern (Michael Lentz), Architekten und Instrumentenbauern zusammen. Seine Arbeiten werden auf zahlreichen internationalen Festivals aufgeführt und wurden vielfach ausgezeichnet. Josef Anton Riedl ist ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Zeichenklänge – Klangzeichen. Zu Josef Anton Riedls optischen Lautgedichten
Filigran, geschwungen - wie mit einer einzigen Geste, gewissermaßen in einem Atemzug gezeichnet -, die feinen Linien: sich gelegentlich scharfkantig ausfransend verbreiternd, Inseln, Einschlüsse bildend, dann wieder Verknotungen, spiralig ausschwingend. Josef Anton Riedls optische Lautgedichte sind Grafiken von hohem ästhetischen Reiz. Doch sind dies eben nicht einfach nur Grafiken, sondern es sind abstrakte Lautschriften, zur Zeichnung geronnener Klang. Dabei sollen keineswegs bestimmte Klänge grafisch repräsentiert oder gar einfach nur nachempfunden werden, sondern es handelt sich um höchst artifizielle Protokolle, ja Seismogramme imaginärer Klänge. Klänge, die sich womöglich erst in der Vorstellung des Betrachters bilden: Ungehörtes, äußerstenfalls sogar Unhörbares, also Zeichnung gewordene Utopie von Klang an sich. Was hier sich zunächst schwer nachvollziehbar ausnehmen mag, oder paradox, wird umso klarer, wenn der darin waltende musikalische Erfahrungsschatz fokussiert wird, der Josef Anton Riedls Schaffen geprägt hat und bis heute immer weiter formt.
Die Geschichte der Verschriftung von Musik erfuhr in den späten fünfziger und sechziger Jahren des 20sten Jahrhunderts eine Umwälzung, bei der nicht nur der bestehende Zeichensatz der traditionellen Notenschrift um eine Vielzahl neuer Zeichen erweitert wurde, sondern das Grundverständnis von Notenschrift, die als eindeutige und damit verbindliche Repräsentation von Tönen und Klängen in der Zeit grundlegend in Frage gestellt wurde. Notenschrift repräsentierte bis dahin immer ein klar definiertes, klangliches Resultat, nun aber wurde etwa die Hervorbringung von Klängen zunehmend als gleichwertig betrachtet. Es prägte sich eine Art Aktionsschrift aus, mit einem geradezu wuchernden Zeichensatz. Doch damit nicht genug: Die Möglichkeiten der elektronischen Musik, die in dieser Zeit einen entscheidenden Schub erfuhr, sprengten gar die bislang bekannten Vorstellungen von musikalischer Gestaltung und machten neue schriftliche Darstellungsweisen erforderlich. Musikalische Verläufe, so die Erfahrungen mit dem neuen Medium, ließen sich z. T. wesentlich adäquater als Grafiken darstellen. Und schließlich begann sich die musikalische Grafik auch als eigenständige Darstellungsweise einer musikalischen Auffassung zu etablieren, bei der der assoziativen Fantasie der Interpreten ein größtmöglicher Freiraum gewährt wurde und weniger deren Eignung zum perfekten Erfüllungsgehilfen gefragt war. Partitur oder autonome Grafik? – Eine Frage, die durchaus nicht immer eindeutig zu entscheiden war.
Josef Anton Riedl war an all diesen Innovationen maßgeblich beteiligt. Als Komponist, der vor allen anderen den Schlaginstrumenten eine herausragende Bedeutung in seinem Schaffen gab, der sich in seinen Lautgedichten wie kein anderer von den Möglichkeiten der Sprache und der menschlichen Stimme, jenseits tradierter Vorstellungen von Gesang und Text, weitertragen ließ, der als künstlerischer Leiter des Siemens-Studios für elektronische Musik an wesentlichen technischen Innovationen dieses damals noch jungen Mediums beteiligt war und diese Innovationen in seinen Kompositionen nicht nur umsetzte, sondern in Verbindung mit Licht und Film zu neuen Präsentationsformen vorstieß, die erst sehr viel später als Multimediakunst in den Wortschatz der Kunstgeschichte eingingen.
Stets ging es ihm um Erweiterung, um Grenzüberschreitung, um die Gewinnung musikalischen Neulands. Wer aber derart in die Tiefen musikalischer Gestaltungsmöglichkeiten, Wirkungen und Darstellungsformen vorgedrungen ist, für den ist es kein allzu weiter Weg vom Konkreten übers Assoziative zum bloß noch Imaginierten, als einfach nur einer anderen Möglichkeit von Musik. So sind also Josef Anton Riedls optische Lautgedichte, Einladungen an den Betrachter, die eigenen Klänge im Kopf, die durch diese Zeichnungen geweckt werden, frei zu lassen, ihnen zu lauschen und sich dieser stillen und ganz und gar frei gewordenen Musik des Imaginären hinzugeben. Ulrich Müller