Zweihundert Jahre Goethes Farbenlehre. Eine Vortrags- und Gesprächsreihe
Im Jahre 1810 erschien Goethes Farbenlehre, die bis heute umfassendste Theorie dieses Gegenstandes. Anders als die von ihm befehdete Theorie Isaac Newtons, welche die Farben als Bestandteile des weißen Lichts betrachtet und unabhängig vom Sehorgan mathematisch definiert, geht Goethe vom Auge aus, von der Wahrnehmung der Farben. In seiner Lehre entstehen sie aus der Wechselwirkung zwischen Hell und Dunkel in einem trüben Mittel. Seine größte Leistung – die er selber durch seine überzogene Polemik gegen Newtons physikalische Theorie verdunkelt hat – ist die von ihm entwickelte Physiologie des Sehens, der psychologischen Farbwirkung. An vier Abenden wird Goethes Farbenlehre aus der Sicht verschiedener Disziplinen und Künste betrachtet: der heutigen Physik, der bildenden Kunst (vor dem Hintergrund ihrer bedeutenden Wirkung auf die Malerei), der Dichtung und der Musik (zumal im Hinblick auf ihre fundamentale Rolle für die Ästhetik Anton Weberns). Dieter Borchmeyer
Goethes Beschäftigung mit der Farbenlehre hat wesentlich dazu beigetragen, daß das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach in der Folge ein Weltzentrum der optischen Forschung und Technologie geworden ist (Jena). Und es gibt gute Gründe anzunehmen, daß Goethes Bestehen auf dem Vorrang der »Phänomene« und dem Einfluß der Polarität von Licht und Dunkel auf die Entstehung der Farben nicht ohne Wirkung auf die moderne Atomphysik geblieben ist. Unlängst hat die Ausnutzung von Hell-Dunkel-Polaritäten bei bestimmten Farbstoffen zu faszinierenden Weiterentwicklungen der Lichtmikroskopie geführt, die den Bau von »Supermikroskopen« möglich gemacht haben. Die sich hier ergebenden, bis vor kurzem noch für unvereinbar mit fundamentalen Gesetzen der Physik gehaltenen Möglichkeiten zu einem lichtgetragenen Vorstoß in den »Nanokosmos« hätte Goethe vermutlich mit Freude aufgenommen.
Christoph Cremer ist Professor für Physik an der Universität Heidelberg und gehört durch seine bahnbrechenden Forschungen zur laserbasierten Lichtmikroskopie (er entwickelte mit seinen Mitarbeitern das weltweit schnellste optische 3D-Nanoskop) zu den international renommiertesten deutschen Physikern.