Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) schützt in § 166 Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und ihr jeweiliges Bekenntnis vor »Beschimpfung«, vor dem, was man gemeinhin »Blasphemie« nennt, sofern der »öffentliche Frieden« dadurch gestört wird. Ist durch den Mohammed-Film The Innocence of Muslims oder durch die diversen Karikaturen, die jüngst in der islamischen Welt für Aufruhr sorgten, dieser »öffentliche Frieden« verletzt? Müßte das Strafgesetzbuch hier nicht greifen? Wie vertrüge sich das aber mit der Kunstfreiheit?
Der Schriftsteller Martin Mosebach hat in einem Essay mit dem Titel Vom Wert des Verbietens (2012) darauf eine dezidierte Antwort gegeben: »Der Anspruch des Künstlers auf seine Freiheit ist total und duldet nicht die geringste Einschränkung. … Er muß schreiben, was ihm die Engel oder die Teufel, die Musen oder die Dämonen, sein Unbewußtes und seine Träume ins Ohr blasen und diktieren.« Das aber kann, darf oder muß bisweilen auch die Blasphemie sein. »Der Künstler, der in sich den Ruf fühlt, … den Glauben derjenigen, für die Gott anwesend ist, oder auch ein Gesetz, für seine Kunst verletzen zu müssen, der ist – davon bin ich überzeugt – dazu verpflichtet, diesem Ruf zu folgen.« Für diese aus seiner Freiheit folgende Pflicht muß er allerdings oft einen hohen Preis zahlen. Sein Risiko ist der »Zusammenstoß mit der Rechtsordnung«, die sich ihrerseits um des öffentlichen Friedens willen jener Freiheit mitunter widersetzen muß, worüber sich der Künstler, der jenes Risiko eingegangen ist, nicht beklagen darf. Er wird sich freilich fragen müssen, ob und inwieweit sein Wagnis sich lohnt, inwiefern seine Blasphemie Notwendigkeit oder nur leichtfertige Attitude ist, ob es nicht gerade der Steigerung der Phantasie dient, die Opposition gegen die geltenden Ordnungen in einem Akt der Selbstzensur in tieferen Schichten seines Werks zu verbergen.
Mosebachs Essay hat zumal aufgrund seines Titels vehementen Widerspruch ausgelöst. Man hat ihn unter Umgehung seiner Dialektik als ein Plädoyer für Zensur und Verschärfung des Blasphemie-Gesetzes gelesen – obwohl er doch als Künstler sein Wort für die Blasphemie einlegt – sowie als Verteidigung des gewaltsamen Protests gegen die vermeintliche Beleidigung des Islam, hinter der sich der Wunsch verberge, auch das Christentum wieder gegen blasphemische Verunglimpfung in Stellung zu bringen. Jedenfalls ist das lange belanglos gewordene Thema der Blasphemie vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse und Dispute wieder aktuell geworden und wird in einem Podiumsgespräch, in dem sich Jurist und Politologe, Ethnologe und Kunstwissenschaftler, Schriftsteller und Journalist begegnen, mit all seinen Facetten zu erörtern sein. Dieter Borchmeyer