Am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurde in Europa und den USA das Menschsein neu erfunden. Ein bis dahin ungekanntes Lebensgefühl entwickelte sich in den urbanen Zentren: fragmentiert, aber optimistisch, erregt und beängstigt von der rasenden Veränderung, fasziniert von Geschwindigkeit, sexuell offener und verunsichert, intellektuell destabilisiert. Dieser raschen Entwicklung eines kulturellen Selbstgefühls lag vor allem die industrielle Massenproduktion zugrunde. Fabriken, Konsumgüter, Fahrpläne und Filme bestimmten das Leben in den Städten, und Fortschritte in Wissenschaft und Technologie eröffneten auch kulturelle und intellektuelle Horizonte und schufen das, was wir als ›Moderne‹ bezeichnen. Als 1914 der Weltkrieg ausbrach, war das weder die unausweichliche Konsequenz von Militarismus und Bündnissystemen, noch ein radikaler Bruch mit einer einfacheren, stabileren Welt. Politisch und diplomatisch fast ein Zufall, war der Kriegsausbruch auch ein mächtiges Einbrechen der industriellen Moderne in Millionen von Menschenleben, denn es gab keinen moderneren Ort als die Front mit ihrer Massenproduktion, Planung, Standardisierung und Mechanisierung aller Aspekte des Lebens. Der Krieg war die monströse Moderne und von der Revolution des Lebens um 1900 führt eine direkte Linie bis in unsere Gegenwart. P. B.
Philipp Blom studierte Philosophie, Judaistik und moderne Geschichte in Wien und Oxford. In London arbeitete er als Journalist und Übersetzer. 2001 ging er nach Paris, um für seine Bücher zu recherchieren. Für Der taumelnde Kontinent wurde er mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis für das beste Sachbuch des Jahres 2009 ausgezeichnet. 2010 erhielt er dafür den Groene Waterman Prijs (Antwerpen, Belgien). Heute lebt Blom in Wien, wo er auch für den ORF moderiert.