Was macht Leonardos Mona Lisa zu einem französischen Nationalschatz? Warum sind die Bilder Raffaels oder Giorgiones im Dresdner Zwinger deutsches »national wertvolles Kulturgut«? Bei Canalettos Dresden vom rechten Elbufer ... leuchtet immerhin der direkte Bezug auf die sächsische Stadt ein. Aber was spricht für Raffaels Sixtinische Madonna, außer der Tatsache, daß sie in dem Museum hängt, weil August II. sie einst erwarb?
Das geplante Gesetz zum Kulturgüterschutz verbietet künftig die Abwanderung von Kulturgütern ins Ausland, falls diese »identitätsstiftend für die Kultur Deutschlands« sind. Damit Kunstwerke, die irgendwo in der Welt ein ausländischer Künstler schafft, zu einem Gut werden, mit dem sich die deutsche Kultur identifiziert – damit sie also diese folgenreiche Metamorphose durchlaufen, reicht es offenbar, wenn sie den Weg in eine Sammlung auf deutschem Boden finden. »Sammlung« scheint ein Gebilde von magischer Kraft zu sein. Ihr gelingt die historisch-kulturelle Transformation fremdländischer Werke zu deutschem Nationalgut. Eine denkwürdige Verwandlung. Zweifellos gilt in diesem Sinn der Pergamon-Altar als ein solches nationales Gut. Ab wie vielen Jahren der »Ersitzung« und der politischen Anstandsfrist beginnt das kulturelle und historische Urteil, sich nicht mehr gegen diese Anverwandlung an deutsche Kultur zu sträuben?
Hinzu kommt die heutige Globalisierung der Künste. Nicht nur, daß der Kunstmarkt als Weltmarkt etabliert ist. Vielmehr wird der Begriff eines »kulturellen Welterbes« heute weltweit geteilt. Jede Zuordnung einzelner Werke zu ihrem mehr oder weniger zufälligen nationalen Standort ist auch darum prekär. Alles das aber negiert das Gesetz. Ein Warhol in der Pinakothek der Moderne: So zufällig auch hier die Wege waren, die von New York bis zur Münchner Barer Straße führten, so unbeirrt wird das Gesetz jedes hier hängende Produkt der Factory eben dem Weltmarkt entziehen, für den Warhol seine Werke geschaffen hat.
»Identitätsstiftung«, die das Gesetz unterstellt, ist stets eine Zuschreibung. Gäbe es das Gesetz nicht, bliebe jede Zuschreibung zu einem behaupteten nationalen Kulturschatz provisorisch und bestreitbar. Doch das Gesetz verlangt Eindeutigkeit und definitive Entscheidung. So offenkundig seine Widersprüche also sind, bleibt einem nichts übrig, als sich auf die Suche zu begeben, auf die Suche nach seiner Legitimation. A. Zielcke
Andreas Zielcke, ursprünglich als Anwalt tätig, war bis 2008 Chef des Feuilletons und leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung; seither ist er weiterhin als Autor bei der Zeitung unter Vertrag.