Warum die Zukunft als Pathosformel und Trost seit 50 Jahren ausgedient hat, läßt sich erahnen. Die politischen Gründe sind dennoch zu nennen. Zukunft war das zentrale Motiv der Geschichtsphilosophie bis ins 19. Jahrhundert. Aber seine Implosion im Namen der Gegenwart war notwendig. Die Umschlägigkeit jeder Zeitlichkeit in ein Symbol widersprach dem Entwicklungs-Interesse. Auch die negative Utopie eines Michel Houellebecq ist in dieser Perspektive keine Voraussage, sondern ein literarisches Phantasma bezüglich der Gegenwart. Nach Montaignes Evokation des jeweiligen Augenblicks sind alle systematischen Zeittheorien zu vergessen, von Hegel bis Heidegger. K. H. B.
Geboren1932 in Köln. Karl Heinz Bohrer ist Professor emeritus für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Bielefeld und seit 2003 Visiting Professor an der Stanford University. Von 1984 bis 2012 war er Herausgeber des MERKUR. Er lebt in London. Zuletzt erschienen von ihm Selbstdenker und Systemdenker. Über agonales Denken, 2011, und Granatsplitter. Eine Erzählung, 2012.