Das Beruhigende an der Zukunft ist, daß sie in jedem Fall kommt. Es ist dieser Umstand zugleich das Beunruhigende an der Zukunft. Wer mehr von ihr will, als daß sie nur kommt, beschwört sie entweder als Morgenröte eines neuen Zeitalters oder malt sie mit düsteren Zeichen als letzte Tage der Menschheit an die Wand, bevor dann der Letzte das Licht ausmacht. Utopie oder Apokalypse sind zwei Seiten der selben Medaille: Ein Ungenügen an der Gegenwart, deren Gebrechen entweder zum großen Knall hochgerechnet oder aber siegreich überwunden werden sollen. Am Ende aber kommt immer nur die Zukunft, die in jedem Fall kommt. Sie spart zwar wahrlich nicht mit atemverschlagenden Innovationen, ist aber doch nicht das, was sich der Utopiker wie der Apokalyptiker von ihr versprochen hatte. Deswegen brauchen wir die Literatur, weil sie mehr Komplexität verarbeiten kann und so unseren Blick auf Winkel unserer Gegenwart lenkt, aus denen das Neue entsteht, ohne daß es sich laut ankündigt. I. M.
Ijoma Mangold, ist nach Stationen bei der Berliner Zeitung und der Süddeutschen Zeitung, Literaturchef der ZEIT. Geboren 1971 in Heidelberg, hat er Literaturwissenschaft und Philosophie in München, Berlin und Bologna studiert. Er ist Träger des Berliner Preises für Literaturkritik, war Gastprofessor für Literaturkritik an der Universität Göttingen und moderierte zusammen mit Amelie Fried die ZDF-Literatursendung »Die Vorleser«. Lebt in Berlin.