Erich Mühsam (1878–1934) war Bohemien, Anarchist, Zeitschriftenherausgeber, Dichter, Kabarettist, Revolutionsteilnehmer. Er wurde als frühes prominentes Opfer des NS-Regimes im Konzentrationslager Oranienburg ermordet. Aus den Jahren 1910 bis 1924 sind Tagebücher erhalten, die der Berliner Verbrecher Verlag in einem 2019 abgeschlossenen Mammutprojekt herausgegeben hat. Allein die Geschichte der Tagebücher liest sich wie ein Krimi: Als Mühsam in bayerischer Festungshaft saß, wurden sie nach umstürzlerischen Äußerungen durchforstet. Nach seinem Tod brachte seine Witwe die Tagebücher nach Moskau, wo der NKWD sie inspizierte und manche Notate wohl verschwinden ließ. Zenzl Mühsam selbst musste wegen angeblicher »konterrevolutionärer Aktivitäten« viele Jahre in sowjetischen Arbeitslagern ausharren, bevor sie 1954 in die DDR ausreisen durfte. Im Gespräch spüren der Mühsam-Herausgeber Chris Hirte und die freie Journalistin Judith Leister dem Leben und Schaffen des wagemutigen Freigeistes und seiner mutigen Frau nach. J. L.
Judith Leister ist als Literaturwissenschaftlerin und Kulturjournalistin tätig, u. a. für die Neue Zürcher Zeitung, den Tagesspiegel, den Deutschlandfunk, SWR2 und SR2.
Chris Hirte, Mitherausgeber der Mühsam-Tagebücher und Verfasser einer Mühsam-Biographie, war 20 Jahre lang Verlagslektor bei Volk und Welt und anderen. Seit 25 Jahren ist er als Übersetzer aus dem Englischen tätig. Zuletzt übertrug er die Briefe und Werke von Samuel Beckett.