Komponisten protestieren zurecht gegen die Streichung der Rihm-Uraufführung aus dem Programm der Übertragung des Eröffnungskonzerts der Elbphilharmonie auf Arte – man kann das Fernsehen aber auch noch aus einem anderen Grund kritisieren
(Januar, 2017) Der Protest dutzender Komponisten gegen die Streichung des Uraufführungswerks „Reminiszenz“ von Wolfgang Rihm von der Liste der Aufzeichnung des Eröffnungskonzerts der Hamburger Elbphilharmonie durch den Sender Arte (siehe Meldung auf KlassikInfo.de) ist berechtigt. Wenn unter elf (!) Werken des Eröffnungskonzerts vom 11. Januar 2017 ausgerechnet die Uraufführung einer Kürzung zum Opfer fällt, kann das nicht mit Zeitknappheit gerechtfertigt werden. Wie fadenscheinig ist das denn? Der Sender Arte hatte die Streichung von Rihms Werk mit der zeitlichen Obergrenze der Sendung von 90 Minuten begründet. Mit dieser Argumentation hätte man auch jedes andere Werk streichen können. „Reminiszenz“ von Rihm aber war eigens für die Eröffnung der Elbphilharmonie in Auftrag gegeben worden, die Uraufführung am 11. Januar also zweifellos ein Highlight des Programms – wenn auch vielleicht nicht für jeden Hörer.
Es muss also wohl noch einen anderen Grund für die Streichung gegeben haben, der aber nicht genannt wird. Vielleicht war die Musik den Fernsehleuten zu sperrig, zu anspruchsvoll, zu schwierig? Der Zensurvorwurf, den die Komponisten in ihrem Protestbrief äußerten, steht jedenfalls weiterhin im Raum und lastet auf dem Kultursender (!).
Aber noch etwas anderes kann man dem Sender, bzw. dem deutschen Fernsehen allgemein vorwerfen. Warum bitte wird ein Konzertereignis dieses Rangs, über das die versammelte Weltpresse berichtet, bei dem der Bundespräsident eine Rede hält und die Kanzlerin anwesend ist, warum wird die Eröffnung dieses wahrlich spektakulären Kulturbaus nicht zumindest auf einem der beiden Kultursender Arte oder 3sat live übertragen – wenn nicht sogar im Ersten oder im ZDF? (Live konnte man das Konzert nur im NDR-Regionalfernsehen und im Internet bei Arte verfolgen.) Hat Kultur tatsächlich nur mehr einen so geringen Stellenwert im deutschen Fernsehen, dass selbst solch ein Ereignis keinen Platz mehr in einem der Hauptprogramme findet? Während jedes noch so belanglose Fußballländerspiel gegen Zwergstaaten wie Nordirland, Slowenien oder Katar mit der größten Selbstverständlichkeit in der ARD oder im ZDF live übertragen wird! Mit welcher Berechtigung wird das eine getan und das andere unterlassen?
Wenn es nur bei diesem Beispiel bliebe. Die Elbphilharmonie-Eröffnung ist aber nur eines von zahllosen Beispielen für die Geringschätzung der Kultur im deutschen Fernsehen – wenn auch ein sehr auffälliges. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht einmal ein Ereignis dieser Größenordnung allen Zuschauern zugänglich machen will, dann ist es wahrlich an der Zeit, gesamtgesellschaftlich über die Rolle dieses Rundfunks und seine Aufgaben zu diskutieren.
Sowohl Joachim Gauck als auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz haben in ihren Reden in der Philharmonie jeweils von der „Kulturnation Deutschland“ gesprochen, die diesen Bau ermöglicht habe. Das Bekenntnis zur Kultur schienen die beiden tatsächlich ernst zu meinen. Ernster jedenfalls als der Kultursender Arte und ARD und ZDF.
Robert Jungwirth