Kollektiv I.L.Y.A. – Sahra Al-Yassin, Theresa Eirich, Franziska Glatt, Gladys Mwachiti
Schauspielerinnen, Musikerinnen und Theaterpädagoginnen
Im Herbst 2020 gründeten wir I.L.Y.A., ein Kollektiv aus vier Menschen, die alle Lust auf politisches Theater haben. Evi Marie Koblin vom TheaterSpielhaus e.V. hatte uns kontaktiert, um uns auf ein Projekt von Axel Tangerding vom Meta Theater Moosach und eine damit verbundene Förderung aufmerksam zu machen. Schnell packte uns die Begeisterung, wir schrieben fleißig den Antrag und bekamen nicht viel später die gute Nachricht: Wir hatten, neben vielen anderen tollen Künstlern und Künstlerinnen, die Recherche Förderung #takecare Residenzen von flausen+Stipendium erhalten. Was für ein Glück!
Keiner von uns hatte bisher in einem Format gearbeitet, das kein fertiges Produkt erwartete, sondern Raum und Mittel fürs Erforschen, Diskutieren und Ausprobieren bot.
Wie erleichternd und auch passend für eine Zeit, in der durchgehend Unklarheit herrscht, wann und wie Produktionen möglich sind. Wir hatten eine relativ offene Projektidee, uns mit Diskriminierungsformen und unseren blinden Flecken zu beschäftigen. Nach einer Weile legten wir einen Fokus auf Rassismus und schon dieses Thema lieferte Unmengen an Recherchematerial.
Zunächst konnten wir uns noch in persona treffen, was wichtig für den Gruppenzusammenhalt und das gegenseitige Kennenlernen war.
Da wir uns nicht hierarchisch organisieren wollten, etablierten wir eine wechselnde Awareness-Person, die Struktur und Bewusstsein in jede Probe bringt. Trotzdem gab es Missverständnisse und unausgesprochene Bedürfnisse, doch die Motivation, gemeinsam zu arbeiten, sorgte dafür, dass diese diskutiert wurden und wir uns nicht nur als Kollektiv, sondern auch als Individuen weiterentwickelten. Mit dem Lockdown verlagerten wir unsere Treffen auf Zoom und erarbeiten Szenen im und für das Onlineformat, was gut funktioniert und ebenso eine Herausforderung ist. Das »sich-gegenseitig-Fühlen« und körperliche Improvisieren geht nicht so leicht von der Hand, wenn man nur über einen Bildschirm kommuniziert. Doch es entstehen auch Szenen, die im Onlineformat neue überraschende Qualitäten entfalten.
Judith Rautenberg – Künstlerin, Weimar
Wie es mir geht? Ich traue mich fast nicht, es laut zu schreiben. Aber mir geht es so gut wie noch nie, seit ich als Künstlerin selbstständig bin. Der Druck hat sich gelöst. Der Druck zu produzieren, dafür bezahlt zu wer- den und hoffentlich ausreichend Geld zu verdienen. Dieser Druck hat die Freude an meiner Arbeit gemindert. Nachdem alle Projekte abgesagt wurden, habe ich mich ausgeruht und gemerkt, wie anstrengend die letzten Jahre waren. Ich hatte Zeit. Kunst durfte wieder Spiel werden. Sie musste nichts sein. Na ja, das stimmt nicht ganz. Eine Skizze ist gleich zur Lampe weiterverarbeitet worden. Trotzdem dachte ich: ganz nett, aber eben nur Skizzen. Was ist das tiefere Konzept? Ich habe den kleinen zarten Samenkörnern meiner Gedanken ihre Existenzberechtigung abgesprochen. Die müssen immer gleich vorzeigenswert und ausstellungsfähig sein. So verschwanden sie wieder in der Schublade. Als ich Konzepte für Stipendienanträge brauchte, habe ich sie eingereicht. Ich habe die Stipendien bekommen. Sie finanzieren mich dieses Jahr und geben mir die Zeit, weiter an meiner Kunst zu forschen, die Samenkörner meiner Ideen umzutopfen und zu düngen.
Dieses Jahr mache ich ganz andere Kunst. Neues, von dem ich bis vor kurzem nicht wusste, dass es das gibt und noch weniger: dass es mich interessiert.
Nie war mir die Bedeutung von Recherche, dem künstlerischen Prozess der Entscheidungsfindung, der zum Produkt Kunstwerk führt, so bewusst. Jetzt ist es ein neuer Lernprozess, diese Erkenntnisse in meine Arbeiten zu integrieren. Das braucht Zeit. Aber es ist nötig, um sich als denkender Mensch, als Künstlerin immer wieder auszurichten. Die sogenannte Krise hat mir harte aber notwendige Denk- und Arbeitsanstöße gegeben – mit weitreichenden Folgen für meine Kunst und mich als Mensch. Dafür bin ich sehr dankbar!
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Freischaffend in den Zeiten von Corona 5
Andrea Kilian – Freischaffende Theater-Regisseurin, Spielerin, Trainerin für Physical Theatre
Anders als viele Freunde, Bekannte, Nachbarn, die den ersten Lockdown im März 2020 als wohltuende Auszeit nehmen konnten, hatte ich keinen einzigen Tag das Gefühl von Urlaub: Zunächst war da die erste Phase des Schocks, der Lähmung, nichts ging mehr, alles war in der Schwebe, nichts war planbar, Auftritte und Projekte abgesagt bzw. verschoben ins Ungewisse – und ich muss sagen, das war für mich als Kreative der unerträglichste Zustand, die Schwebe. Aus einem Automatismus und Lebenswillen heraus habe ich an meinen künstlerischen Projekten weiter gearbeitet, obwohl nicht klar war, wann oder ob sie überhaupt stattfinden würden, es fühlte sich an wie die Beatmung eines leblosen Körpers.
In diesem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hat man uns Künstler und Kulturschaffende gefühlt am ausgestreckten Arm verhungern lassen, keine Infos, keine Erwähnung; was passiert mit den Theatern, können wir spielen, proben? Jegliche Struktur, Sicherheit, Perspektive war plötzlich weggebrochen.
Die Krise hat mir den Schleier der Selbstverständlichkeit weggezogen: Arbeiten können, Theater machen und schauen, mit den Menschen, die wir schätzen und gern haben Zeit zu verbringen, ist keine Selbstverständlichkeit.
Ich habe intensiv erfahren müssen, wie sehr ich Begegnung vermisse, physischen Kontakt, beieinander im gleichen Raum sitzen und sich wahrnehmen, sich austauschen; sogar Kontroversen und Konflikte sind Nahrung, halten uns emotional in Bewegung und lebendig. Zusammen sein, das ist ein großes Glück. Das ist Leben.
Verena Nolte – Autorin, Übersetzerin und Kuratorin internationaler Kulturprojekte, München
Anfangs hieß es, wir Freischaffenden seien privilegiert, weil wir nicht hinaus müssten tagtäglich und uns auf dem Weg zur Arbeit oder, dort angekommen, der Gefahr aussetzen müssten, das »neuartige« Virus einzufangen. Also arbeitete ich weiter, wie gewohnt, an Schreibtisch und Laptop, schrieb das begonnene Buch zu Ende und entwarf »virtuelle« Literaturprojekte, die im östlichen Europa, im unbekannten Vorland der Europäischen Union, spielen sollen.
Ich beantragte Mittel, verhandelte, fand Kooperationspartner hierzulande und in der Ukraine, all das konnte ich ohne Hindernisse wie immer aus dem Arbeitszimmer (jetzt »Homeoffice«) heraus erledigen.
Dann schlossen sich die Grenzen, die reellen, was sich auch auf die geistigen Grenzen auswirken sollte. Ich bemerkte das Fehlen der Kinder morgens in den Straßen, die nicht mehr zur Schule durften. Hässliche Wörter wie »Alltagsmaske«, »Distanzunterricht«, »Niesscham« kamen in Gebrauch.
Ich erfuhr, dass ich nicht »systemrelevant« bin, genauso wenig wie die Kultur, auf der doch alle Zivilisation beruht. Um Menschenleben zu retten, ergingen Auftrittsverbote, wurden Theater und Konzerthäuser, sogar Buchhandlungen geschlossen.
Wir verfielen in eine Art Wachkoma, denn auch unsere geliebten Versammlungsorte, die Cafés und Restaurants, galten als Gefahrenzone und mussten, bis auf eine kleine Luke zur Straße hin, aus der Kaffee gereicht wurde, schließen. Unsere Einkünfte versiegten. Wir bekamen eine neue Bezeichnung: »Soloselbstständige«. Als solche konnten wir Hilfe beantragen, auf die wir dann wochenlang warteten. Die Lähmung der Gesellschaft draußen schien von mir Besitz zu ergreifen. Offenbar bin ich doch abhängig vom lebendigen Gewusel draußen.
Ich fertigte, um lebendig zu bleiben, kleine Arbeiten an, schrieb an einem Eintrag für ein Onlinelexikon über den Schriftsteller Horst Bienek, der dem damals (1990) neuartigen HIV-Virus erlag, worüber man aber lange nicht sprach: »Virusscham«. Im grenzübergreifenden »Distanzteam« erarbeiteten wir ukrainische Untertitel für einen Film, den wir 2018 in Mariupol am Asowschen Meer in seliger »Präsenzzeit« gedreht hatten. Zwischendurch »Zoomkonferenzen« und lange Spaziergänge. Wir sind »pandemüde«, aber wir leben und lassen andere leben.
Bald schon, wenn die Kultur wieder erwachen darf, wird uns die Aufgabe zufallen, die neuartigen Wörter vergessen zu machen.
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Freischaffend in den Zeiten von Corona 4
Nadja Küchenmeister, Schriftstellerin - Berlin
es beginnt, wo es endet
es beginnt immer hier, im frühjahr,
in der warmen luft
es beginnt mit einem atemzug,
und so endet es
es beginnt mit einer hand,
die um einen schlüssel wächst
es beginnt mit einem schlüssel,
und es endet ohne tür.
es beginnt, wo es endet,
es beginnt im flur: an einer viel
befahrenen kreuzung nimmst du
die erste ausfahrt rechts
wiewohl du keine kreuzung
und keine ausfahrt kennst
nicht weißt, dass alles endet
und nicht nochmal beginnt.
im flur, wo alle fluchten enden,
gehst du hin zu dir
wo der tag dich wärmt,
wo die nacht dich kühlt
deine hand ein schlüssel,
dein auge ein see.
hier bleibst du, bis du wieder gehst,
und es endet ohne tür.
Aus dem Gedichtband Im Glasberg, der im März 2020 erschienen ist,
als der erste Lockdown verhängt wurde. Nadja Küchenmeister, Im Glasberg
© Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH, Frankfurt a. M. 2020
Vera Botterbusch, Autorin, Regisseurin, Filmemacherin, Fotografin - München
Seit einem Jahr lebe ich in einem Zustand zwischen Lähmung und Hoffnung, irgendwie wachsender Leere und Aussichtslosigkeit. Corona hat mich aus dem Leben vertrieben, an das ich gewöhnt war, das ich mir ausgesucht hatte, das mich erfüllte. Im Januar 2020 konnte ich noch zum Gedenken an den Holocaust die Fotoausstellung und Text-Bild-Ton-Collage »Souvienstoi: Erinnere dich« realisieren, war noch eine Reise nach Paris möglich, »writers-for-peace«, konnte ich die Dreyfuss/Zola-Ausstellung besuchen, das Grand Palais, das Centre Pompidou. Lebensnotwendige Augenblicke, um dem eigenen Schaffen immer wieder neue Impulse zu geben. Ich brauche Resonanz, Fragen und Gespräche mit Besuchern meiner Filmpräsentationen und Ausstellungen. Im Februar wird in München mein Wolfgang Bächler-Film gezeigt, dessen Titel »Schräg im Nichts« fast vorausschauend den jetzigen Zustand markiert. Im März dann der Einbruch: Canceln der Fontane-Filmpräsentation in Jena, Verschiebung meiner Ausstellungen in Dillingen und Waldkirchen auf 2021.
Warteschleifen mit immer neuen Lockdowns, permanenter Planungsunsicherheit und der schmerzhaften Erfahrung, dass in unserem Land Kultur nur eine untergeordnete Rolle spielt, so die grausame Entscheidung der Bundesregierung, wenn sie Kultur mit Unterhaltung und Freizeit gleichsetzt und nicht als lebensnotwendig erachtet. Die Trauer, ja das Entsetzen über diesen Zustand lähmt, angefangene Texte bleiben liegen, Videokonferenzen schmerzen, im rein Digitalen bleibt etwas Lebensnotwendiges auf der Strecke. Dazwischen kurze Hoffnungsschimmer, dann Verschärfungen, kein Kino, keine Ausstellungen, kein Theater aber Gottesdienste – müsste man das Menschenrecht auf Kultur im Grundgesetz deutlicher verankern?!.
Franka Kaßner, Künstlerin - Leipzig
Ich blicke zurück – Stille.
Stille der Anderen.
Angst setzt sich fest.
Meine tiefe Unsicherheit im März 2020 war unbegründet. Ich konnte durcharbeiten. Zum Großteil antizyklisch zu der Realität meines Umfeldes. Das hat mich demütig gemacht. Ich musste zuschauen, wie der Ernährungsboden verschiedenster Existenzen sich über die Monate auflöste. Stillstand, Unsicherheit auch als Neuanfang zu begreifen, war lange der Antrieb meiner freien Denkzeit. Die Gedanken an die Nachcoronazukunft haben für mich keine positiven Ausläufer mehr. Nicht einmal das digitale Mitdenken.
Kaum neue Räume werden entstehen, alte werden zu großen Teilen schließen. Nischen werden unlebbar gemacht.
Was bleibt? Diese Frage habe ich mir schon einmal gestellt. – 89/90 – Tiefer Bruch – Realität neu denken. Diesmal ist es eine globale Frage. Mehrere Gesellschaften müssen sich dieser Realität stellen und müssen entscheiden, wie sie weiter existieren wollen. Welchen Wert wird die Gesellschaft unserer Zeit in der Kultur sehen? Und was ist sie bereit dafür zu zahlen? Bezahlen für etwas, was für die Individuen nicht messbar ist. Unser Wert wird sich nicht beziffern lassen. Es wird keine Statistik geben, was in uns Menschen zerbricht, wenn die Vielfalt der Kultur von einer Gesellschaft abgeschafft wird. Für Optimistinnen und Optimisten ist es eine denkbar ungünstige Zeit. Selbst den Größten unter ihnen muss die Bühne unter den Füßen wegbrechen. Wir sollten es endlich schaffen, einen gemeinsamen Anspruch zu formulieren. Nicht heulend Einzelschicksale präsentieren. Als vereinzelte Segmente des Kultursystems werden wir immer mehr verlieren.
Ein brüchiges Fundament.
Ich blicke auf die Realität der
Anderen – Unsere Realität.
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Freischaffend in den Zeiten von Corona 3
Leonie Felle, Bildende Künstlerin und Musikerin - München
Brief an eine Kollegin, 20.12.2020
Die Zeit vergeht schnell. Dieses Jahr vergeht sie (gefühlt) noch schneller als sonst. Seltsam, da ja eigentlich alles langsamer läuft – manchmal sogar zäh. Der Stillstand ist nicht weit. Trotzdem ist das Jahr schnell vergangen. Als wäre es in eine Maschine geraten, gepresst und wieder ausgespuckt worden. Die fabrizierte Kompression liegt, zur Analyse freigegeben, vor mir. Ein besonderes Jahr – ganz ohne Zweifel. Beziehungsweise mit Unmengen an Zweifeln. Hast du dich auch gefragt, ob das alles Sinn macht, was wir tun? Es hat uns ganz schön auf die Probe gestellt, dieses 2020. Und wie lange diese Krise noch andauert, weiß keiner. Ich frage mich: »Halten wir durch?« Nicht nur, weil das Geld knapp wird. Auch die Muse will geküsst werden und genaue Regeln darüber, wann und wo ich sie wieder treffen darf, wurden nicht gemacht. So bleibt mir nichts anderes übrig, als geduldig zu warten.
Dieses Jahr war sowieso plötzlich so viel Zeit vorhanden. Viel Zeit, um nachzudenken – sich selbst zu überdenken. Und vor allem hatte ich Zeit, Menschen zu vermissen, die ich sonst so ganz selbstverständlich um mich habe. Heutzutage sind Begegnungen ein gewundenes Verhalten geworden. Keiner weiß mehr, wie und ob er auf den Anderen zugehen soll. Mit weit offenen Armen und beflügeltem Herzen? Ganz sicher nicht. Der Abstand wächst … und wir gewöhnen uns daran. Plötzlich ist es normal, sich nicht mehr zu umarmen.
Berührungen sind ein nicht einschätzbares Risiko geworden. Der Abstand wächst weiter … wuchert. Das macht mir Sorgen. Denn auch innerlich entfremden wir uns. Das Gegenüber ist weit entfernt und unwirklich. Es ist ein Leichtes, die Anderen zu vergessen und nur sich selbst zu sehen. Wie kann ich mich zu jemandem solidarisch verhalten, wenn ich ihn gar nicht wahrnehmen kann? Der egoistische Weg liegt näher und ist um vieles einfacher. Ich frage dich: »Was bedeutet ICH?« und »Was bedeutet WIR?«
Sarah Stamboltsyan, Pianistin - Reichenbach
Im vergangenen Jahr bekam unser 2002 gegründetes Calliope Duo eine Konzertabsage nach der anderen: Italien war natürlich das erste Land, dann folgten Spanien, Belgien und Deutschland. Im März haben wir noch geglaubt, dass alles schnell vorbeigeht und im ersten Lockdown mit großem Enthusiasmus zwei Videoaufnahmen für YouTube gemacht und ein neues Duoprogramm eingeübt, welches wir wenigstens einmal im Oktober aufführen durften. Die meisten Kulturschaffenden und Kulturverantwortlichen haben sich so viel Mühe gegeben, den vorgeschriebenen Hygiene-Maßnahmen zu folgen, auf die Abstandsregeln und die Besucherzahl bei den Konzerten zu achten, und durften letztendlich trotzdem keine Veranstaltungen durchführen. In meiner Calliope Kammermusikreihe, die 2020 ihr 10-jähriges Jubiläum feierte, habe ich statt der vorgesehenen sieben nur drei Konzerte veranstalten können. Das ganze Jahr über habe ich die Planung der Konzerte ändern müssen: Mal musste ich sie absagen (vor allem Konzerte mit ausländischen Künstlern wegen der Einreisebestimmungen), mal umstellen, mal dringend einen Ersatz suchen.
Die Vogtland Philharmonie, in der mein Mann als Stimmführer der 2. Violinen tätig ist, hat seit dem November 60 (!) Konzerte absagen müssen. Leider weiß niemand, wann wieder Normalität einkehrt, und diese Ungewissheit ist für die Kreativität der Kulturschaffenden tödlich. Weder YouTube-Videos noch Livestreams werden jemals Live-Konzerte ersetzen können. Uns bleibt nur die Hoffnung … Die Musik geben wir nicht auf! Außerdem ist sie immun gegen das Virus der Vergessenheit, weil sie uns immer an die Schönheit der Künste erinnern wird.
Bernhard Weidner, Komponist - München
Ich sehe mich in einer privilegierten Situation, denn ich befinde mich durch die Pandemie nicht in einer ökonomischen Notlage. So fällt es mir sicherlich leichter, Verständnis für die aktuell getroffenen Maßnahmen zu haben als denjenigen, die aufgrund des Wegfalls von Veranstaltungen in wirtschaftliche Not geraten sind. Für ihren unfreiwilligen Beitrag für unser aller Gesundheit müssen sie effektiv entschädigt werden! Was die abgesagten Aufführungen einiger meiner Stücke betrifft, gehe ich davon aus, dass es Nachholtermine geben wird, wenn die Situation dies wieder zulässt. Vergebens bleibt dann zwar zum Teil nicht unerheblicher organisatorischer Aufwand für die abgesagten Termine, in künstlerischer Hinsicht gewinne ich der Perspektive, dass die Aufführungen dann hoffentlich unter weniger einschränkenden und verkrampften Bedingungen stattfinden können, aber sogar etwas Gutes ab.
Meine konkrete Arbeitssituation unterscheidet sich in diesen Tagen eigentlich nicht von meiner bisherigen: Ich bin in meinem Komponisten-Home-Office wie immer. Wegfallenden künstlerischen Input in Form von Konzertgängen kompensiere ich mit Büchern, CDs, Radio, Online-Medien. Bezüglich der Frage, was mit uns in der Pandemie-Situation passiert, will ich besonders wach sein. Vertieft sich durch die Pandemie eine Spaltung in der Gesellschaft? Befördert sie die Verfestigung weltanschaulicher Parallelgesellschaften? Bietet die Pandemie auch Chancen? Zeigt sie Symptome einer Zeitenwende auf? Ich will diese Zeit auch dafür nutzen, um mir klar darüber zu werden, mit welchen ästhetischen Mitteln ich auf die Spannungsfelder reagieren kann, die diese Fragen eröffnen.
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Freischaffend in den Zeiten von Corona 2
Farzia Fallah, Komponistin - Köln
Das ganze Jahr habe ich komponiert, fast ununterbrochen und intensiv, alle Termine standen fest. Mit dem Moment, in dem die Pandemie begann, um sich zu greifen, setzte auch eine große Unsicherheit ein. Unmöglich vorauszusehen, wie die Situation sich entwickeln würde, welche Konzerte stattfinden könnten, welche abgesagt werden würden. So schön für mich das Komponieren und Abtauchen in die Welt der Klänge – trotz des langwierigen Entstehungsprozesses – ist, so schade war es zugleich, dass ich diese unglaubliche Energie, die ich in jedes Stück investierte, nicht zurückbekam, weil die Stücke nicht uraufgeführt werden konnten. Es entsteht durch die reale Probe mit den MusikerInnen und zum Schluss als Höhepunkt durch das Teilen dieser musikalischen Momente mit dem Publikum so viel Energie, dass man müde, aber voller Freude und Kraft und mit neuen Ideen zurück nach Hause geht und sich auf das nächste Stück einlässt.
Nun in konkreten Zahlen, um das Ausmaß deutlich zu machen: 2020 gab es für mich mindestens zehn ausgefallene Aufführungen und fünf auf das nächste Jahr verschobene Uraufführungen. Eine einzige Uraufführung mit dem Kollektiv3:6Koeln konnte realisiert werden und hat gezeigt, wie sehr wir alle – KomponistInnen, MusikerInnen und Publikum – die Energie der Livemusik vermissen.
Bengt Forsberg, Pianist - Stockholm
Hier in Schweden sehen wir uns mit steigenden Fallzahlen an Infizierten und Toten konfrontiert. Meine Frau Gertrude wurde positiv auf Covid-19 getestet, der Verlauf ist relativ mild. Sie ist sehr müde, aber es geht ihr inzwischen besser.
Ich selbst habe keinerlei Symptome. In der letzten Zeit habe ich einige gestreamte Konzerte gespielt – viel Beethoven, natürlich! Das hat mir ein ganz klein wenig Einkommen verschafft, denn ansonsten bin ich momentan vollständig von Gertrudes Verdienst abhängig, sie arbeitet als (nicht besonders gut bezahlte) Kinderkrankenschwester.
Ich nutze die Zeit, viel für mich selbst zu spielen und so noch etwas tiefer in die großartige Vielfalt einzutauchen, die es an Solo- und Kammermusikrepertoire gibt. So wird mir bewusst, was ich wirklich liebe und was ich in Zukunft aufführen möchte.
Mir begegnen viele talentierte Kollegen, die enorm niedergeschlagen sind und sich sogar überlegen, die Musik aufzugeben und etwas ganz anderes zu machen, nur um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können …
Was sind das für traurige Zeiten! Dabei gibt es in Schweden natürlich eine große, fast schon verzweifelte Sehnsucht aller Kulturliebhaber nach Konzerten, Ausstellungen, Theateraufführungen, Kino, Bibliotheksbesuchen und, und, und …
Das eint uns mit den meisten Ländern!
Ivonne Fuchs, Sängerin - Roslagen
Als freischaffende Sängerin im Konzert- und Opernbereich bin ich, in Schweden lebend, wie viele meiner Kollegen seit März 2020 arbeitslos und bekomme vom Staat den Mindestsatz an Arbeitslosengeld, was zum Leben in keiner Weise ausreicht. Es gibt Krisenfonds, die zum Teil willkürlich Gelder und Stipendien auszahlen, ich habe bisher noch keine dieser Unterstützungen bekommen. Die fortdauernde Ungewissheit nagt an den Nerven und lähmt die Kreativität. Natürlich trifft die Corona-Pandemie viele Menschen sehr viel härter, dennoch sind wir freiberuflichen Künstler ohne Lobby und nicht systemrelevant, es gibt mir das Gefühl, den falschen Beruf ergriffen zu haben. Ich bin sehr froh und dankbar, eine stabile Gesundheit und gute Freunde zu haben, die mich durch diese Zeiten tragen.
Sabine Schreiber, Regisseurin, Dramaturgin, Filmemacherin - Holzkirchen
Meine persönliche Schreckenszeit waren definitiv die Monate März und April 2020.
In dieser Zeit stürzte ich als Solo-Selbstständige im Kulturbereich ohne Rücklagen in die große Spalte, die die sich damals auftat: alle Jobs und Pläne wurden ad hoc storniert, Ausstände nicht bezahlt, die staatlichen Hilfen griffen in Bayern nur für größere Betriebe, Hartz IV erschien mir zu diesem Zeitpunkt nicht als akuter Ausweg. In diesen beiden Monaten war ich gezwungen, Freunde und Familie um Kleinstbeträge für den Lebensunterhalt für mich und mein Kind zu bitten. Solche Sorgen in Kombination mit Pfennigfuchsen und Perspektivlosigkeit machen das Leben enorm erschöpfend. Und auch wenn man an mangelnde Wertschätzung als Kulturschaffender durchaus schon gewöhnt ist, traf mich die Erkenntnis, dass mein Berufsstand für die Politik ein blinder Fleck zu sein scheint, sehr. Allerdings interessierte das Problem im Frühjahr noch kaum jemanden.
Jetzt ist es anders. Jetzt werden auch diejenigen laut, die im März noch Rücklagen hatten und aufgrund ihrer Bekanntheit mehr Gehör und Öffentlichkeit finden. Gut in der Sache – für Künstler wie mich: leider zu spät. Noch bevor in Bayern erst im Juni Künstlerhilfen zum Tragen kamen, musste ich notgedrungen umsatteln. Inzwischen schreibe ich banale Newslettertexte für Konzerne und Magazin-PR. Davon lebt es sich ganz gut und: ohne Hartz IV. Aber es schmerzt enorm, keinen künstlerischen, wertvollen Beitrag zur Gesellschaft mehr zu leisten – das, wofür ich mich eigentlich befähigt sehe, woran ich mein Leben ausrichten wollte und will und wofür ich 13 intensive Semester an der Bayerischen Theaterakademie August Everding studiert habe.
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Freischaffend in den Zeiten von Corona 1