Lieber, lieber, aus tiefstem Herzen verehrter Aribert!
Ich schreibe dir in die unbekannte Ferne, die du inzwischen betreten hast. Vielleicht wirst du da oben die drei anderen Musiker treffen, die mein Leben nachhaltig geprägt haben. Du bist der Vierte im Bunde und ich werde dich unsäglich vermissen. Du warst, nein, bist in meinen Gedanken unverlierbar präsent, als maßstabsetzende, künstlerische Instanz. (Die andern drei sind übrigens mein Vater, dann der auch von dir als Künstler und Mensch hochgeschätzte Dietrich Fischer-Dieskau und Carlos Kleiber.)
Gewaltiges und Unvergängliches hast du nicht nur für das Musiktheater geschaffen, aber bis zum Schluss an einer neuen Oper gearbeitet, die nun Fragment geblieben ist. Ich bin sicher, auch das wird eines Tages erklingen, in deiner ureigenen Sprache, gesungen und gespielt mit Ehrfurcht vor deinem Können, deiner Kraft, deiner Musik. Bei der Uraufführung des „Lear“ in München war ich staunend im Publikum. Und dass ich dir auf dem Lieder-Podium begegnen durfte und daraus Freundschaft wurde, hat mich immer mit Stolz und Dankbarkeit erfüllt. Ich fühlte mich musikalisch geadelt.
Ich habe so viel von dir gelernt, dass es nicht in Worte zu fassen ist. Wie oft haben wir im Verein mit Marianne Hoppe Schönbergs „Hängende Gärten“ gemacht! Auch in Kombination mit der „Dichterliebe“. Abende, die mir unvergesslich sind. Begeistert folgte ich deinem Rat: „Sing den Schumann so wie Schönberg und den Schönberg so wie Puccini!“ Und eine der schönsten Erinnerungen an unsere Zusammenarbeit ist die Aufnahme der „Winterreise“ in London. Sie entstand in der Abbey Road in dem Studio, in dem die Beatles ihre legendären Platten aufgenommen hatten. Wir nahmen es als gutes Omen. Den A-cappella-Zyklus „Eingedunkelt“ hast du für mich geschrieben. Das kleine, mit Bleistift vollgeschriebene Skizzenbuch, das du mir überlassen hast, ist mein kostbarster Besitz.
Du wirst in der so genannten besseren Welt hoffentlich all die Großen deinesgleichen treffen, zumindest die, die du treffen möchtest. Die grandiosen Diskussionen, den mit deinen witzig-sarkastischen Bemerkungen gewürzten Gedankenaustausch, kann ich mir lebhaft vorstellen! Vor deiner Integrität werden sie zum Teil wohl verstummen müssen, die großen Kollegen deiner Zunft. Und so wird es weitergehen. Da oben, irgendwo. Mozart, Schubert, Puccini, Schönberg – du wirst sie treffen und mit ihnen fachsimpeln.
Dein Erdenweg war nichts als Musik, dein Leben erfüllt von unversiegbarer Kreativität, du hast uns mit deiner Unsterblichkeit beschenkt. Und wenn du wiederkommst, wirst du dich nach wie vor erleben können auf den Bühnen dieser Welt, die jetzt um den größten, schöpferischsten Komponisten unserer Zeit ärmer geworden ist.
Ich grüße dich in Liebe und Verehrung.
Brigitte.
Brigitte Fassbaender