Ein offenes Gesicht, ein immer ein wenig spöttischer Mund, ein Gesicht, das Freundlichkeit ausstrahlte, das nie verärgert erschien, das dem Gegenüber zugewandt war. Horst Fuhrmann ist im September 2011 verstorbenen, aus dem Kreis der ehrenamtlichen Mitglieder unserer Akademie ausgeschieden. Er, den wir immer bei unseren Mitgliedertreffen begrüßen konnten, er, der mit uns, die Akademie-Plakette umgelegt, eingezogen ist, er, der auf die ihm näher Bekannten zugegangen ist, der sich mit ihnen ausgetauscht, erinnert hat. Horst Fuhrmann konnte lachen, ja, er besaß sogar ein verschmitztes Lächeln.
Horst Fuhrmann, der 1926 in Schlesien geborene bedeutende Mittelalterforscher, der Gelehrte, der alle nur erdenklichen Ehrungen eingesammelt hat, dem die Doktorhüte ehrenhalber im In- wie im Ausland in großer Zahl aufgesetzt wurden. Das mittelalterliche Kirchenrecht, Fälschungen im Mittelalter, insbesondere die pseudoisidorischen Fälschungen des 9. Jahrhunderts, die Auswirkungen der Fälschungen auf das mittelalterliche Rechtsverständnis, die Edition der Konstantinischen Schenkung, dies beschäftigt ihn, bis hin zum großen, von ihm organisierten Münchner Historikerkongress, nach dem fünf Bände über Fälschungen im Mittelalter publiziert wurden.
Hubertus von Pilgrim hat anläßlich des Gedenkens an Horst Fuhrmann als eines Mitgliedes des Ordens Pour le Mérite von einer Ära Fuhrmann gesprochen. 1986 war Fuhrmann in den Orden aufgenommen worden, bei dem er sogar Vizekanzler wurde. Ära Fuhrmann? Man könnte auch von dem Phänomen Fuhrmann sprechen. Der in Kreuzberg/Oberschlesien Geborene hat eigentlich nur als Soldat keine Karriere gemacht. Er ließ sich nach Kiel entlassen, mußte feststellen, daß seine Eltern verschollen waren, genau wie seine beiden Brüder.
Er holte das Abitur nach, begann Jura zu studieren, fand die Jurisprudenz aber schnell zu langweilig. Er erhielt das Angebot, eine Dissertation in Geschichte zu schreiben, aber der betreuende Althistoriker ging weg, und so sagte sich Fuhrmann: »Ich dachte mir, nach dem Altertum kommt das Mittelalter, und ich ging zum Mittelalterhistoriker. Er fragte dann auch, ob ich nicht eine Dissertation schreiben möchte.«
Und schon sagte der Doktorvater zu ihm: »Da ist gerade ein Angebot, daß Sie Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica werden können.« Dr. Fuhrmann wurde Mitarbeiter und schließlich Präsident dieser renommierten Einrichtung. Vorher aber wurde er nach seiner Habilitation 1962 nach Tübingen berufen. 1971 kam er an die neu gegründete Universität Regensburg. Die Uni München wollte den Präsidenten der Monumenta nicht auf einen Lehnstuhl berufen. Das Präsidentenamt behielt Fuhrmann 23 Jahre, und er hatte eine zweite Präsidentschaft inne. Als Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften stand er einer Akademie von europäischem Rang vor.
Wissenschaftler, Präsident wissenschaftlicher Einrichtungen, Forscher, das alles. Aber Horst Fuhrmann war mehr. So, wie er im persönlichen Umgang Menschen für sich gewinnen konnte, wußte er sich auch in seinem Fach ein großes Publikum zu gewinnen. Er war kein oberflächlicher Popularisierer seiner Disziplin, aber er hat es als Schriftsteller geschafft, Menschen für das Mittelalter zu interessieren, ja sie zu begeistern.
Die Titel der Bücher: Überall ist Mittelalter, Einladung ins Mittelalter, Die Päpste. Sie haben ihn als glänzenden Erzähler ausgewiesen, der die Leser packte, der Zusammenhänge verdeutlichte, der Geschichtsepochen lebendig werden ließ. Ich hatte das große Vergnügen, mit ihm für das Fernsehen eine umfangreiche Reihe über die großen Gestalten des Mittelalters produzieren zu dürfen. In jeweils 45 Minuten dauernden Gesprächen über die historischen Personen konnte ich mich mit Horst Fuhrmann austauschen, konnte ich erleben, wie es ihm immer wieder gelang, zu zeigen, daß unsere Kultur und Gesellschaft aus dem Mittelalter kommen oder doch wesentlich vom Mittelalter mitbestimmt werden. Diese Gespräche sind mir unauslöschlich in Erinnerung geblieben.
Walter Flemmer