Wollte man eine Bibliographie aller Botero-Ausstellungen erstellen, die jemals stattgefunden haben, würde das Verzeichnis viele Druckseiten füllen. Mehr als sieben Jahrzehnte gehörte der am 19. April 1932 unter dem Namen Fernando Botero Angulo in der kolumbianischen Stadt Medellín geborene Maler, Illustrator und Bildhauer Botero zu den weltweit erfolgreichsten und gleichermaßen beliebten Künstlern. In Lateinamerika zählt er zu den weit über die Grenzen der Kunst bekannten Persönlichkeiten. Er selbst bezeichnete sich als „den kolumbianischsten aller kolumbianischen Maler“. Schon während seiner Schulzeit wurde der hochbegabte Zeichner Botero von „El Colombiano“, der führenden Zeitung von Medellín, als Illustrator für deren literarische Beilage engagiert.
Seine künstlerische Methode ist ein Charakteristikum der klassischen Moderne: die Transformation durch Deformation und die Reduktion von Details. Große Formen schrumpfen und kleine dehnen sich aus. Er verfremdet das Volumen seiner Bildgegenstände – in der Regel sind es Tänzerinnen, Toreros, Musikanten, Liebespaare, Familienszenen, Priester, Bischöfe, Politiker und Stillleben – und verzerrt deren Proportionen so weit, bis alle eckigen, splitternden und rechtwinkligen Formen verschwunden sind und die Volumina runde, organisch erscheinende Oberflächen angenommen haben. Wesentlich für seine Bilder ist auch die wohlkalkulierte, aber immer sehr präsente Farbigkeit.
International wurde dieser Stil unter dem Namen Boterismo bekannt. Ein „Botero“ ist fast immer als ein solcher zu erkennen. Der Bühnenbildner Ekkehard Grübler hat in seiner Begründung für die Zuwahl Boteros als korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste im Jahr 1984 das sprechende Adjektiv „boteromorph“ gefunden. Doch anders als Picasso oder Francis Bacon, die sich ebenfalls der Deformation als Stilmittel bedienten, schildert Botero seine Modelle immer liebevoll und voller Empathie. Der deutschen Maltradition fühlt sich Botero in besonderem Maße verbunden. Schon in den 1960er Jahren studierte er in Nürnberg und München Bilder der deutschen Renaissance und verwandelte sie in Form der „Dürerboteros“ in seine eigene kraftvolle Bildsprache. Doch nicht nur die deutsche Malereitradition, die abendländische Kunst der Renaissance und des Barock generell wurde über die Grenzen von Kulturräumen hinweg zu einer seiner Inspirationsquellen. Von Leonardo da Vinci bis zu Rubens.
Nach ersten plastischen Arbeiten, die bereits Anfang der 1960er Jahre entstanden, widmete sich Botero ab 1976 parallel zur Malerei mehr und mehr der Skulptur. Die Themen blieben ähnlich: weibliche Akte, Adam und Eva, Paare, Pferde, Katzen und Bürger mit Hut. Entscheidend war auch hier die Beherrschung der Form und die technische Perfektion im Umgang mit dem Material. In der Regel handelt es sich um Bronzegüsse.
Nach ausgedehnten Aufenthalten in Madrid, Paris, Florenz und New York beschloss Botero 1983, ein Haus mit großem Atelier in Pietrasanta zu kaufen, einer Stadt in der nördlichen Toskana, aus der Ende des 18. Jahrhunderts einige seiner Vorfahren nach Südamerika ausgewandert waren. Für die Chiesa de la Misericordia in Pietrasanta schuf er zwei Bilder, die Themen aus Dantes Divina Commedia gewidmet sind und die Dichtung mit expressiven Figurentableaus neu interpretieren.
Zu Bayern, insbesondere zur oberfränkischen Domstadt Bamberg besaß Botero eine besondere Affinität. Nach einem Aufenthalt Boteros im Künstlerhaus „Villa Concordia“ veranstaltete die Stadt 1998 eine Ausstellung mit 15 seiner Großplastiken und vielen Zeichnungen. Im selben Jahr wurde mit Unterstützung privater Spender die voluminöse Bronzeplastik Liegende mit Frucht angekauft. Nach einem Ausflug auf eine Plattform in der Regnitz steht sie heute wieder auf ihrem ursprünglichen Platz auf dem Heumarkt unweit des Maxplatzes und bildet eine Hauptattraktion des Bamberger Skulpturenweges.
Die verschiedenen Schaffensphasen Boteros schildert ein farbenkräftiger Dokumentarfilm, der im Juni 2008 zum Abschluss des 26. Filmfests in München in Anwesenheit des Künstlers uraufgeführt wurde. Der Regisseur Peter Schamoni näherte sich mit Botero – Born in Medellín dem Künstler auf einfühlsame Weise, in dem er ihn an seine wichtigsten Lebens- und Wirkungsorte begleitete und dort zu Wort kommen ließ.
Wer bei Boteros Arbeiten jedoch immer nur an freundliche, harmonische und heitere Sujets denkt, blendet den artiste engagée aus, der dieser unermüdliche Künstler auch gewesen ist. Die Gräuel und die jahrzehntelange Gewalt des Drogenkriegs in seinem Heimatland wurden wiederholt zum Anlass seiner künstlerischen Anklage. Unvergessen sind seine schonungslosen, an mittelalterliche Geißelungsszenen erinnernden Bilder und Zeichnungen (2004–2005), mit denen er die Folter durch amerikanische Militärangehörige im Gefängnis Abu Ghraib während des Irakkrieges anprangerte. „Die Kraft der Kunst ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich zu erinnern“, schrieb Fernando Botero.
Am 15. September 2023 ist er im Alter von 91 Jahren in Monaco-Ville gestorben. Die Mitglieder der Akademie werden die Erinnerung an diesen originellen, engagierten, in seiner Zeit wie in der künstlerischen Tradition gleichermaßen zuhause seienden Künstler lebendig halten.
Andreas Kühne