Abteilung Literatur: Edward Albee – Korrespondierendes Mitglied seit 1977
geb. 12. März 1928 in Washington, D.C. – gest. 16. September 2016 in Montauk, New York
Edward Albee, der am 16. September 2016 im Alter von achtundachtzig Jahren in ›seinem‹ New York verstarb, wurde 1977, am Zenit seines literarischen Ruhmes, auf Vorschlag von Joachim Kaiser in unsere Akademie aufgenommen. Er fühle sich außerordentlich geehrt, ließ er durch seinen Sekretär mitteilen, könne aber aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse leider nicht an den Sitzungen teilnehmen. Dennoch darf man von einer besonderen Beziehung Albees und seines Dramas zu Deutschland, und hier vor allem zu München, sprechen.
Der ungeliebte Adoptivsohn eines reichen Vaudeville-Managers, der es schaffte, nacheinander aus Highschool, Militärakademie und Universität hinausgeworfen zu werden, um danach in Greenwich Village ein freies Literatenleben zu führen, wandte sich erst mit dreißig Jahren, und auf Zuspruch von Thornton Wilder, dem Theater zu. Für seinen ersten Einakter »Zoogeschichte« wollte sich keine amerikanische Bühne erwärmen. Da sprang das Berliner Schillertheater ein, und die erfolgreiche Uraufführung 1959 bedeutete auch den Durchbruch in den USA. Das Stück wurde in New York im Tandem mit Becketts »Letztem Band« aufgeführt und gilt als erstes Beispiel einer spezifisch amerikanischen Variante des absurden Dramas. Eine immer wieder ins Surreale umschlagende Schärfe der Gesellschaftskritik wurde Albees Markenzeichen.
Wenn auch das Schloßparktheater Berlin Albees dauerhaftesten Theatererfolg »Wer hat Angst vor Virginia Woolf« 1963 in einer glänzenden Aufführung erstmals vor ein deutsches Publikum brachte, so wurde der Autor danach vor allem an den Münchner Kammerspielen unter der Regie von Hans Schweikart und August Everding heimisch: »Winzige Alice«, »Empfindliches Gleichgewicht« und andere Stücke erlebten hier ihre deutsche Erstaufführung. Zu den versierten Übersetzungen von Pinkas Braun kamen seit den 80er Jahren Albee-Versionen von Alissa und Martin Walser.
Edward Albee, der seit seinem Debüt als zorniger junger Mann offen mit seiner Homosexualität umging, verbindet von Anfang an seine bitterböse Kritik an den Scheinheiligkeiten des bürgerlichen Amerika mit einem denkbar illusionslosen Blick auf das Aggressions- und Prostitutionspotential der Ehe und anderer Partnerbeziehungen. Die ›Götter des Gemetzels‹, die sein Erfolgsstück in die literarische Welt entließ, haben eine reiche Nachkommenschaft gezeugt. Die Suche nach menschlicher Nähe, die für sein Leben bestimmend war, kommt im Werk vor allem als scheiternde zu Wort.
Doch Albee, der mit allen einschlägigen Preisen bedachte Profi des Theaterbetriebs, war auch ein Pionier in der heute und vor allem hierzulande grassierenden Mode, Romane für die Bühnen umzuschreiben: »Die Ballade vom traurigen Café«, »Bartleby« und »Lolita« wären da zu nennen, und sogar der Text für ein Musical »Frühstück bei Tiffany«. Sein Ruhm ist eng mit dem Mythos der 60er Jahre verbunden, in denen er das amerikanische Theater neu erfand und mit seiner Truppe »Theater 1964« und der Inszenierung von Beckett, Pinter und anderen Größen der Zeit eine Brücke nach Europa schlug. »Wer hat Angst ...« feiert in Martin Kušejs derzeitiger Inszenierung am Residenztheater und an vielen anderen Bühnen weiterhin seine Triumphe. Sonst ist es stiller um Albee geworden. »Man hat mich sowohl über- wie unterschätzt«, sagte er vor längerer Zeit; »ich nehme an, wenn ich einmal mit dem Schreiben aufhöre – und ich will weitermachen, bis ich 90 bin oder gaga – wird die Sache ins Lot gekommen sein.«
Werner von Koppenfels