Über Luc Bondy zu schreiben, ist schwierig. Es schien, als kannte er die Wörter »schwer« oder »schwierig« nicht. Alles, was er sprach, schrieb und auf der Bühne erzählte, war leichten Sinns, schwerelos – und trotzdem tiefsinnig. Für mich war er ein schillernder Schmetterling, voll Poesie und Anmut.
Kennengelernt habe ich Luc Bondy in Wuppertal. Ich sollte am Theater eine Assistentenstelle annehmen und sprach nach Besuch einer Inszenierung von Was ihr wollt mit den Dramaturgen. Auf meine Frage, von wem die Inszenierung sei, bekam ich als Antwort: »Ein gewisser Bondy, der aber sicherlich nicht mehr an diesem Haus inszenieren wird«. Überhaupt hatten die Dramaturgen eigenwillige Meinungen, so konnten sie auch nichts mit Grübers Frankfurter Im Dickicht der Städte anfangen. Beide Inszenierungen hatten mich jedoch sehr beeindruckt, und so erklärte ich Ihnen, daß ich mir eigentlich nur eine Assistenz bei solchen Regisseuren vorstellen könne – und sagte ab. Während des Gesprächs beobachtete ich einen jungen Mann, der am Ende des Kellerlokals mit einer jungen Frau saß, eine Locke drehte und ständig zu mir herüber schaute. Nachdem die Dramaturgen in die Nacht verschwunden waren kam er zu mir und sagte: »Ich bin Luc Bondy. Hast Du Lust, mit mir nach Frankfurt zu kommen?« So wurde die Reise nach Wuppertal doch noch eine kluge Unternehmung.
Seitdem habe ich alle Aufführungen von Luc verfolgt, bin aber nicht nach Frankfurt gegangen, weil mir Palitzsch keine eigenständige Inszenierung anbot. Viel, viel später, 1978, kam es zu einer ersten Zusammenarbeit, bei Platonow an der Freien Volksbühne in Berlin. Thomas Brasch und ich arbeiteten an der Fassung. Wir hatten ein sehr zusammengewürfeltes Ensemble, sogenannte Zadek-, Stein- und freie Schauspieler, oftmals schon sehr vom Fernsehen verdorben. Es war in doppelter Hinsicht eine schwere Zeit: Luc erkrankte an Krebs, schlimme Begleiterscheinungen fingen an, ihn zu quälen. Aber trotz heftiger Chemotherapie, die ihn sehr schwächte, arbeitete er weiter. Seine Lebenslust, seine Neugier und sein unglaublicher Kampfgeist gaben ihm die Kraft. Stücke mit großer Besetzung waren nicht seine Sache, aber dennoch schaffte er es, trotz schwerer Krankheit.
Es gibt so viele Aufführungen von ihm, die ich liebe. Sie alle aufzuzählen, übersteigt den Rahmen. Stücke von Marivaux; von Botho Strauss, mit den Schauspielern der Schaubühne, die ihn schätzten und verstanden; seine Strauss-Inszenierungen waren und sind immer noch prägend. Zusammen mit Dieter Sturm hat er die Tiefgründigkeit mit leichtem Sinn, nahezu schwebend und tänzelnd skizziert. In Erinnerung bleiben auch seine Arbeiten mit wunderbaren französischen Schauspielern, denn in den letzten Jahren arbeitete er mehr in Frankreich als im deutschsprachigen Raum. Sein poetischer Tanz mit Handkes Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten, war für die Schaubühne besonders beglückend. Die Inszenierung hatte einen besonderen Zauber, das Haus war mit Schauspielern ganz verschiedener Nationen erfüllt. 40 Menschen bevölkerten die Gänge und Garderoben, die wegen der schnellen Umzüge hinter dem Bühnenbild aufgebaut waren.
Luc hat immer Menschen um sich gehabt, er hat anregende, gescheite Menschen gesammelt. Freundschaft war jedoch eine Sache des Augenblicks: war man fern, konnte er schnell vergessen; traf man sich wieder, so war es, als hätte man sich niemals getrennt. Er erzählte dann umgehend in seinem unverwechselbaren Duktus, was er gerade las: meist Romane; Theoretisches schien er nicht zu mögen. Luc war, neben Daniel Barenboim, ein grandioser Witzeerzähler. Selbstredend jüdische Witze, die ja ohnehin die besten sind. Es konnte passieren, daß er, egal wo er sich gerade aufhielt, spät in der Nacht anrief, um den neuesten Witz zu erzählen – er lachte dann und fragte, ob man ihn auch so toll fände.
Luc wußte viel über die Beziehungen zwischen Mann und Frau, keiner konnte den steten Hauch erotischer Spannung so inszenieren wie er. Er liebte Frauen, er kannte die weiblichen Rätsel. Er war – wenn ich versuchen sollte, seine Arbeit zu benennen – ein poetischer Realist. Immer geschah etwas Unerwartetes: der überraschende Sprung von Anja Silja, als Lulu, auf einen Flügel, dabei das hohe C singend; oder etwa der Sprung von Libgart Schwarz in den von Karl Heinz Hermann gebauten See, ein Sprung, wie ich nie zuvor einen gesehen hatte. Endlos könnte man schöne, zarte Augenblicke erzählen, unvergeßliche, die sich mir eingebrannt haben.
Luc, geboren 1948 in Zürich, war weder deutsch noch französisch, er war jüdischer Kosmopolit. Jüdisch in dem Sinne, daß ihm das Talmud-Denken innewohnte. Er hatte immer eine politische Haltung und scheute sich nie, sie öffentlich zu äußern, wenn er Gefahr witterte: Xenophobie, Beschneidung der Gelder für Kultur oder inhumane, rechte Gedanken. Er empfand dies als seine Pflicht.
Luc Bondy mußte viele Monate in Kliniken verbringen, im Streckbett, schier undenkbar. Aber immer wieder hat er sich hochgerappelt. Den Rigoletto der Wiener Festwochen inszenierte er vom Krankenbett aus, das er sich in den Zuschauerraum stellen ließ. Mit einem Stock dirigierte er den Chor, schaffte unter schwersten Umständen die Premiere. Schon schwer gezeichnet, die Jacken und Hosentaschen voller Tabletten, betrat er die Bühne zum Applaus. Gejammert hat er nie. Er sprach von Plänen, und es war ein Wunder, wie viele er noch realisieren konnte. Er hatte bei allem Leid die Kraft, ein Theater zu führen, leitete als Intendant für zehn Jahre die Wiener Festwochen. Kein Klinikaufenthalt brachte ihn von seiner Arbeit ab.
Luc besaß die Gabe, große Künstler um sich zu versammeln. Allein konnte ich ihn mir nicht vorstellen, ich sehe ihn immer inmitten von Menschen. Er liebte teure Hotels, dort empfing er, dort gehörte er auch hin. Er verehrte Patrice Chereau, Peter Stein, Klaus Michael Grüber und – Billy Wilder. Über ungebildete Menschen war er voll des Spotts, sein Witz und sein Humor haben ihn nie verlassen. Auf den Proben war er verspielt wie ein Kind, wollte bei jeder szenischen Erfindung wissen, wie man sie fand. Trotz seiner unglaublichen Begabung war er unsicher, brauchte Bestätigung und Zuspruch. Ich finde das normal – wirkliche Künstler haben Angst und sind nie zufrieden. Wahrscheinlich darf man deshalb nie pausieren.
Luc ahnte, daß seine Zeit bemessen war. Vermutlich war das ein Grund, warum er so vieles realisiert hat und noch mehr wollte. Er wollte seine Krankheit besiegen und kämpfte trotz größter Schmerzen dagegen an. Sein Tod ist für uns grausam – viel zu früh mußte er gehen. Wir Hinterbliebene können mit dem Verlust schwer umgehen. Seine Inszenierungen sind unvergeßlich, sein schmetterlingshaftes Wesen auch. In unserer Erinnerung wird er weiter erzählen und zaubern: Der Vorhang öffnet sich, und in schönster Beleuchtung fällt leise und leicht ein Herbstblatt auf die Bühne.
Andrea Breth