Am 12. Dezember 2023 ist Oswald Georg Bauer, seit 2005 Ehrenmitglied unserer Akademie, in seiner Heimatstadt Würzburg verstorben, wo er 1941 geboren wurde. Achtzehn Jahre, von 1986 bis 2004, war er als Nachfolger von Karl Schumann, der ihn nachdrücklich als künftigen, zünftigen Sachwalter dieses Amts empfohlen hatte, Generalsekretär der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Bauer studierte Theater- und Literaturwissenschaft sowie Kunstgeschichte an den Universitäten München und Wien. Dort promovierte er mit einer Dissertation über das Thema Allegorien auf dem Theater des Mittelalters und der Renaissance. Nach der Promotion nahm er Lehraufträge an den Universitäten Wien und Aachen wahr und wurde schließlich 1974 wissenschaftlich-künstlerischer Mitarbeiter Wolfgang Wagners bei den Bayreuther Festspielen sowie seit 1976 Leiter des Pressebüros.
In den zwölf Jahren seiner offiziellen Bayreuther Tätigkeit für die Festspiele, aber auch noch in der Zeit, als er bereits das Generalsekretariat der Bayerischen Akademie der Schönen Künste übernommen hatte, hat er – wenngleich immer dezidiert im Hintergrund bleibend – das Gesicht der Festspiele nicht unwesentlich mitgeprägt, nicht zuletzt durch seine phantasiereiche Redaktion der Bayreuther Programmhefte und seine dramaturgische Beratung der Festspielaufführungen, so noch für den „Ring"-Zyklus von Alfred Kirchner, Rosalie und James Levine (1994-1998). Es war kein Geheimnis, dass er bis zum Ende der Festspielleitung von Wolfgang Wagner eine Art „Graue Eminenz" in Bayreuth war und dass jener seinem Urteil wie dem kaum eines anderen vertraute. Trotzdem hat Wolfgang Wagner ihm entschieden geraten, die neue Herausforderung als Akademie-Generalsekretär zu suchen – zumal er wusste, dass das niemals das Ende seiner inspirierenden Tätigkeit für die Festspiele sein würde. Bauer war verantwortlich für viele Ausstellungen bei den Bayreuther Festspielen und über sie – in Europa, Russland, Japan, Brasilien, Korea und Australien –, weit über die Zeit seines hauptamtlichen Bayreuther Wirkens hinaus. Allein die Ausstellung zum hundertsten Jubiläum der Festspiele war in vier Kontinenten zu sehen und zog 1,2 Millionen Besucher an. Sein Wirken als Aussteller ist durch zahlreiche, von ihm herausgegebene und großenteils verfasste Kataloge dokumentiert – so diejenigen über das Festspieljubiläum 1976, Wieland Wagner (1991), Wagner in St. Petersburg (1993) und schließlich über Die russische Bühne 1900-1930 (1994), um nur charakteristische Beispiele zu nennen.
Auch als Wagner-Forscher hat Bauer sich einen internationalen Namen gemacht. Seine auch ins Englische und Französische übersetzte theatergeschichtliche Dokumentation über die Bühnenwerke Wagners von der Uraufführung bis heute (1982) ist ein Standardwerk, sein Buch Richard Wagner geht ins Theater (1996 – auch englisch) nach wie vor einer der originellsten Beiträge zur theaterwissenschaftlichen Wagner-Forschung. Ähnlich inspirierend seine Monographie über Josef Hoffmann, den ersten Bühnenbildner der Bayreuther Festspiele (2008), um nur die wichtigsten seiner Publikationen zu erwähnen. Deren Krönung, sein Opus magnum aber ist seine monumentale zweibändige Geschichte der Bayreuther Festspiele (2016), die auch sehr kritische Akzente nicht scheut, durch die er sich nicht nur Freunde gemacht hat.
Bauers Vortragsreisen rund um die Welt – so Ende 2004 eine dreimonatige Weltreise –, seine Rundfunk- und Fernsehsendungen haben sein eminentes internationales Ansehen als Wagner-Experte dokumentiert. Doch bildete Wagner keineswegs den einzigen Schwerpunkt seines Wirkens. Vielmehr galt seit seiner Dissertation sein Hauptaugenmerk der alteuropäischen Theatergeschichte. Er war ein leidenschaftlicher Sammler und Spezialist auf dem Gebiet der Theatergraphik vom 17. Bis zum 20. Jahrhundert. Seit Beginn seiner Münchener Tätigkeit war er jahrelang Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität (Institut für Theaterwissenschaft) und später auch an der Akademie der Bildenden Künste (in der Klasse Bühnenbild). Sein Lehrgebiet hier umfasste vor allem die Geschichte und Ästhetik des Bühnenbildes vom Barock bis zum 20. Jahrhundert.
In den nahezu achtzehn Jahren seiner Tätigkeit als Generalsekretär unserer Akademie hat Bauer Beispielhaftes geleistet. Die Zahl der Veranstaltungen pro Jahr wuchs gegenüber der vorangehenden Ära in dieser Zeit auf das Dreifache an, und an ihrer erfolgreichen Durchführung hatte Bauer entscheidenden Anteil. Neben dem unvergessenen Präsidenten Heinz Friedrich war er maßgebend am Aufbau der neuen Abteilung IV „Darstellende Kunst" beteiligt. Mit Heinz Friedrich zusammen hat er das Jahrbuch der Akademie gegründet und während seiner Amtszeit alle 18 Bände als Redakteur betreut. Hingebungsvoll hat er sich um die alten und kranken Mitglieder gekümmert und überhaupt versucht, stets für die Mitglieder als ihr Ansprechpartner da zu sein. Seine Vorträge in der Akademie, natürlich jeweils auch im Jahrbuch abgedruckt, setzten immer wieder überraschende Akzente. Auf seinen Vortragsreisen in aller Welt war er nicht zuletzt auch ein „Botschafter“ der Akademie.
Auch nach dem Ende seiner offiziellen Tätigkeit an unserer Akademie hat er diese mit Rat und Tat unterstützt, als wäre er immer noch „da", hat an Veranstaltungen in und außerhalb Münchens teilgenommen und war jederzeit bereit, der Akademie seinen Schatz langjähriger Erfahrungen und Kenntnisse zukommen zu lassen – stets mit der ihm eigenen Zurückhaltung und vornehmen Diskretion, die alle, die mit ihm zu tun hatten, an ihm so sehr zu schätzen wussten. Die Akademie war ihm ganz einfach ans Herz gewachsen. Und so ist er es auch uns, die wir ihn und seine so vielseitige, inspirierende, diskret-engagierte Wirksamkeit nicht vergessen werden.
Dieter Borchmeyer