Abteilung Bildende Kunst: Alf Lechner – Ordentliches Mitglied seit 1995
geb. 17. April 1925 in München – gest. 25. Februar 2017 in Obereichstätt/Dollnstein
Wenige Wochen vor seinem 92. Geburtstag verstarb Alf Lechner, seit 1995 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Wie Fritz König gehört er neben Norbert Kricke, Erich Reusch, Erich Hauser und Erwin Heerich zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1925 in München geboren, lernt Lechner zunächst das Schlosserhandwerk, entwickelt und produziert anschließend Möbel und Beleuchtungskörper. 1963 veräußert seine Firma, was ihm für einige Zeit die Existenz als unabhängiger Künstler ermöglicht.
Bereits ab Mitte der 1960er-Jahre beginnt er auszustellen, zunächst im noch weitgehend von der figürlichen Plastik geprägten München, das sich aber im Vorfeld der Olympiade allmählich internationalen Strömungen öffnet. Der Geist von Aufbruch und Optimismus, wie ihn die Zero-Künstler im Rheinland propagieren, bleibt Lechner jedoch fremd. Distanziert verhält er sich auch gegenüber den seit der klassischen Moderne gängigen Arbeitsverfahren. Während nämlich von Julio Gonzalez bis zu Henry Moore, von David Smith bis zu Anthony Caro das Prinzip der Collage vorherrscht, um eine bestimmte Gestalt hervorzubringen und zum symbolischen Ausdrucksträger zu machen, geht es Lechner von Beginn an um die Dialektik von Maß und Material. Erfolge stellen sich schnell ein. Galerien und Museen zeigen seine Werke, und er wird im Laufe seiner langen Schaffenszeit mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Seine Plastiken bestehen fast ausschließlich aus Stahl, wobei sich das Formenvokabular zunächst dem Konstruktivismus der 1920er-Jahre und damit der euklidischen Geometrie verdankt. Unabhängig von Concept und Minimal Art findet er jedoch alsbald zu seinem unverwechselbaren Stil und setzt so den Dialog zwischen den USA und Europa fort. Geläufige Grundformen wie Quadrat, Rechteck, Kreis bzw. Kubus, Quader, Kugel werden von Lechner vervielfacht, addiert und kombiniert, dann aber auch verbogen, gequetscht, zerlegt, zerteilt, gespalten oder gewaltsam zerbrochen.
Es ist der Prozeß des Machens, der in Lechners Werken eine zentrale Rolle spielt. Immer wieder werden die Eigenschaften des Stahls erprobt, d.h. seine Festigkeit, Härte, Dehnbarkeit, Korrosionsbeständigkeit. Die Evokation von Gefühlen des Lastens und der Schwere, die Beziehungen von Maß und Gewicht, die Unterschiede von Schmieden und Walzen, Schneiden und Flämmen bestimmen die Erscheinung seiner Arbeiten ebenso wie der Kontrast von verdichteter Masse und Leere, von konkreter und imaginärer Form. In seinem umfangreichen Oeuvre geht es daher immer wieder um das Verhältnis von Technik und Kunst, von Rationalität und Emotionalität, von Reflexion und Prozeß, von Kalkül und Zufall – letztlich von überlegtem Vorgehen einerseits und manchmal irrationalem Resultat andererseits. Alle Arbeiten – neben den Skulpturen entsteht ein umfangreiches zeichnerisches Werk – sind von innerer Konsequenz und Folgerichtigkeit geprägt. In Zeiten einer radikalen Ausweitung künstlerischer Praktiken und der völligen Auflösung von Qualitätskriterien besticht sein Schaffen durch konzeptuelle Schlüssigkeit und Kohärenz. Außerordentlich beeindruckend ist außerdem die Tatsache, daß seine Arbeiten bis zuletzt höchst innovativ und damit entwicklungsfähig bleiben. »Mein ganzes Lebensziel ist die Einfachheit«, sagt Lechner, um dann fortzufahren: »In der Einfachheit steckt so viel Kompliziertes, daß man gar nicht einfach genug sein kann. Wirkliche Entdeckungen macht man ja nur in den einfachsten Formen. Je überladener eine Form ist, desto weniger sieht man das Wesentliche.«
Die Stationen seiner Entwicklung vollziehen sich an bestimmten Orten, die ihm jeweils sehr unterschiedliche Arbeits- und Darstellungsmöglichkeiten bieten. Die Anfänge sind mit Degerndorf am Starnberger See verknüpft. In Geretsried verfügt er über ein großzügiges Atelier und viel Platz, um schwere und große Plastiken realisieren und zeigen zu können. Das nationale und internationale Echo wird damit größer. Schließlich eröffnet der Wechsel nach Obereichstätt die einzigartige Möglichkeit, auf dem weitläufigen Gelände eines ehemaligen Eisenhüttenwerks eine Art Gesamtkunstwerk zu realisieren, das es erlaubt, in der herrlichen Landschaft des Altmühltals eine Vielzahl seiner tonnenschweren Großskulpturen zu platzieren, aber neben den Wohneinheiten auch Hallen für raumgreifende Arbeiten und Galerien für kleinere Plastiken und graphische Werke zu errichten.
Große Einzelausstellungen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, der Nationalgalerie in Berlin, dem Lehmbruckmuseum in Duisburg, der Kunsthalle Kiel und vielen anderen Institutionen haben Alf Lechners Werke ebenso bekannt gemacht wie die Ankäufe von privaten Sammlungen oder Museen im In- und Ausland bzw. die vielen öffentlichen Aufträge, von denen hier exemplarisch nur die monumentalen Arbeiten am Gasteig, am Landtag und dem hiesigen Flughafen zu nennen sind. Daß ihm in Ingolstadt seit Februar 2000 ein eigenes Museum mit ca. 1800 Quadratmetern Ausstellungsfläche gewidmet ist, stellt gewissermaßen die Krönung eines ungemein schöpferischen Lebens dar, wobei dort nicht nur Skulpturen Lechners zu sehen sind, sondern immer wieder auch andere, vor allem jüngere Künstler Gelegenheit bekommen, ihre Werke auszustellen. »Mich interessieren Grenzen, und die überschreite ich dann«, sagte er vor einigen Jahren im Gespräch. Daran hat sich Lechner sein Leben lang gehalten und auf diese Weise ein außerordentlich imponierendes und reiches Oeuvre geschaffen, das aufgrund seiner Vielgestaltigkeit, seiner durchgehend bestechenden Qualität eine spezifische Faszination und zugleich nachhaltige Wirkung entfaltet. So schwergewichtig seine Plastiken auch sind, ihnen eignet fast durchweg eine spielerische Leichtigkeit, die sie neben vielen anderen Momenten zukunftsfähig macht.
Armin Zweite