9. April 1939 – 12. November 2020
Gernot Roll ist mit dem Berufsbild »Kameramann« nicht annähernd zu beschreiben. Obwohl er sich selbst in stolzer Bescheidenheit gern als »Handwerker« beschrieb, ging sein Wirken im Deutschen Film weit darüber hinaus und war damit beispiellos. Pausenlos arbeitete Gernot Roll über mehr als 50 Jahre und führte die Kamera in zahlreichen Filmen, die so verschieden waren, dass man sich fragt, wie eine derartige Bandbreite der Schaffenskraft überhaupt möglich war. Das Geheimnis war wohl Gernot Rolls Freude am puren Machen. Er arbeitete an der Seite von maßgeblichen Regisseuren wie Axel Corti, Fritz Lehner, Egon Günther, Jo Baier, Dieter Dorn, Sönke Wortmann, Peter Sehr, Helmut Dietl, Heinrich Breloer und Caroline Link. Seit mehr als 40 Jahren arbeitete Gernot Roll mit Edgar Reitz zusammen. Ein Höhepunkt in seinem Berufsleben war die Bildgestaltung in »Heimat«, »Die zweite Heimat« und zuletzt in der Kinoproduktion »Die andere Heimat«. Gernot Roll wurde für sein Wirken vielfach ausgezeichnet. Neben dem Deutschen Kamerapreis erhielt er sechs Adolf-Grimme-Preise, den Ehrenpreis für sein Lebenswerk, den Deutschen Filmpreis, den Bayerischen Filmpreis, sowie das Bundesverdienstkreuz am Bande und einen Stern auf dem Boulevard der Stars.
Gernot Roll war ein kreatives Energiebündel am Set. Nie begrenzte er sein Interesse auf die Kameraarbeit. Für Roll gehörten alle Berufsbilder und Gewerke des Films zusammen, um eine künstlerische Einheit zu schaffen. Seine Kompetenz umfasste großes Wissen von Kostümbild, Ausstattung und filmgerechtem Schauspiel. Selbst in Fragen der Organisation, des Drehablaufes, auch in den Filmschnitt mischte er sich in kollegialer Weise ein, ohne damit den verantwortlichen Mitarbeitern in die Quere zu kommen oder gar dem Regisseur Konkurrenz zu machen. Sein Engagement galt immer dem Film selbst. Er wollte mit allen Mitteln zum Gelingen beitragen, was in einer erstaunlichen Reihe von Werken gelang. Gernot Roll war ein Poet des Lichtes und der bewegten Bilder wie kaum ein anderer. Für Gernot Roll war ein Regisseur oder eine Regisseurin, das absolute Zentrum eines Films. Wenn es für ihn eine Verpflichtung zur Loyalität gab, dann galt diese in erster Linie der Regie. Damit galt er unter den Regisseuren als Vorbild für Teamgeist. Gernot Roll setzte Maßstäbe. Er verlangte an den Drehtagen von sich das Äußerste. Das war seine Art, das Glück herauszufordern. Die Regisseure und Regisseurinnen, die mit Gernot gearbeitet haben, berichteten auch immer gern untereinander von dieser Glückserfahrung. Es gibt inzwischen so etwas wie eine Gernot-Roll-Familie von Filmleuten, die sich durch ihn und über ihn in Freundschaft verbunden fühlen. Der Abschied von Gernot Roll ist für alle ein tiefer Schmerz.
Edgar Reitz