Korrespondierendes Mitglied der Abteilung Bildende Kunst seit 2002
Der 1924 im friulanischen Cervignano geborene Giuseppe Zigaina war eine der prägenden Künstlerpersönlichkeiten Italiens der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeit bezog über Jahrzehnte ihren unverwechselbaren Charakter aus einer gleichsam obsessiven Transzendierung des Gegenständlichen. Bereits seit den späten Vierzigerjahren hat dieser Maler, Zeichner, Graphiker und Schriftsteller einen Status als ausgeprägter Einzelgänger für sich in Anspruch genommen. Der Austausch mit Malern aus dem Kreis des »Fronte Nuovo delle Arti« wie Guttuso, Pizzinato, Vedova und Morlotti haben Zigaina früh zum Überdenken der eigenen Position in Distanz zu einem »Gruppenstil« expressiv-realistischer Prägung herausgefordert.
Pier Paolo Pasolini, mit dem Zigaina seit 1946 eine enge Künstlerfreundschaft verband, die unter anderem zu seiner Mitarbeit an den Filmen »Teorema«, »Decamerone« und »Medea« führte, sprach vom »Delirium der graphischen Inspiration« Zigainas. In der Tat ist dessen Rang als einer der herausragenden italienischen Zeichner und Radierer evident. Die Zeichnungen und das erst ab 1965 einsetzende druckgraphische Oeuvre dominierten das Werk immer wieder in großen, zyklischen Schüben. Typisch für den Künstler war das variationsartige Kreisen um einige wenige, immer wiederkehrende Bildgegenstände, die er mit der Insistenz eines Rituals aus der umgebenden Dingwelt seines geliebten Friaul heraus zu filtern und in seine private »Mythologie« zu überführen vermochte. Von Anbeginn galt das Interesse dieses nordischen Italieners der Anatomie des Dinglichen - Figur und Landschaft -, wobei in einer zuweilen eigentümlich halluzinierten Optik Psychisches und Ontologisches verschlüsselt und auf die Ebene der poetischen und oft tragischen Metapher erhoben wurde.
Eine beinahe unübersehbare Zahl an internationalen Ausstellungen hat das Werk Zigainas bekannt gemacht. Allein viermal – 1956, 1960, 1966 und 1982 – war er Teilnehmer der Biennale von Venedig. Auch im deutschsprachigen Raum war der Künstler immer wieder durch Ausstellungen präsent und wurde von keinem Geringeren als Werner Haftmann schon in den Fünfzigerjahren in seiner Bedeutung erkannt. Wohl kein zweites Werk eines italienischen Künstlers dieser Generation reflektiert derart ausgeprägt die graphische Tradition nördlich der Alpen. Die schöne Ausstellung, welche die Staatliche Graphische Sammlung München 2001 in der Neuen Pinakothek zeigen konnte, war letztlich der Anstoß zur Wahl Zigainas in unsere Akademie.
Schließlich widmete sich Zigaina in seinem essayistischen Werk seit den Achtzigerjahren mit einer wahren Fülle an Publikationen der Dechiffrierung des vor vierzig Jahren, 1975 erfolgten Todes von Pasolini als »Gesamtkunstwerk«, als authentisches Werk eines Autors. Dies bedeutet, dass – wie Peter Kammerer in einem Gespräch mit Zigaina ausführte – dieser besondere Tod gedanklich konzipiert, im schriftlichen, filmischen und theatralischen Werk viele Jahre vorher angekündigt, dann organisiert und schließlich in einer mythisch-religiösen Darstellung auf dem »Spielfeld« in Ostia realisiert wurde: Der Tod als integraler Teil der Pasolini'schen Sprache und Schlüssel zum gesamten Werk, das erst durch diesen als Opfer vollzogenen »kulturellen Ritus« seinen vollen Sinn erhält.
Michael Semff