(19.6.1935 – 26.6.2024)
Hans-Martin Gauger war ein Universitätslehrer der Romanistik, der einen heute nahezu ausgestorbenen Professorentypus in diesem Fach verkörperte, ähnlich wie sein Kollege Harald Weinrich, einen Romanistikprofessor nämlich, der seinen Berufsweg zwar als Sprachwissenschaftler bzw. Linguist absolvierte, aber mit der gleichen Kompetenz auch über Literatur sprechen konnte und sogar eine Erzählung über die Gestalt des biblischen David veröffentlicht hat.
Gauger profitierte von dem Schulsystem in der französischen Besatzungszone in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in denen er an zwei französischsprachigen Kollegs in Tübingen und Konstanz die Schule besuchte, dann aber an einer deutschen Schule seine Abiturprüfung ablegte. Er studierte an Universitäten in Deutschland, England, Spanien und Frankreich. Durch seine spätere Heirat mit einer Spanierin war er diesem Kultur- und Sprachkreis intensiver verbunden, als es bei deutschen Romanisten normalerweise üblich war, deren Schwerpunkt meist in der französischen Sprache und Kultur lag. Nach der Habilitation 1968 wurde er sehr schnell an die Freiburger Universität berufen, der er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Universitätsdienst im Jahr 2000 treu blieb.
Hans-Martin Gauger erkannte sehr bald, dass seine rhetorischen und schriftstellerischen Begabungen ihn dazu prädestinierten, über die normale Universitätsromanistik hinaus ein breiteres Publikum anzusprechen, und so gelang es ihm etwa mit seinem Buch „Über Sprache und Stil“ von 1995 eine noch heute anregende und intellektuell funkelnde Grundlegung der Sprach- und Stilkritik vorzulegen.
Als junger Mann hatte er einmal einen Brief an Thomas Mann geschrieben, der ihm auf einer sehr freundlichen Postkarte auch antwortete. Die hat er zeitlebens in Ehren gehalten. Seine Sympathie und Bewunderung für Thomas Mann hat er später auf dessen Sohn Golo übertragen, woraus eine Bekanntschaft entstand, die durchaus freundschaftlichen Charakter hatte. Wie das eben genannte Buch zeigt, war dem Romanisten Gauger nicht nur die Sprache wichtig, sondern auch der Stil. Er war nicht nur ein Bewunderer Thomas Manns, sondern auch Goethes. Berühmt war er dafür, dass er umfangreiche Passagen des ersten Faust-Teiles auswendig konnte und zum Verwundern seiner Zuhörer auch gerne rezitierte. Er steckte voller Anekdoten und sammelte Sprachwitze. Saß man mit ihm in einer größeren Runde zusammen, bestand nie die Gefahr, dass das Gespräch versandete oder auch nur eintönig dahindümpelte. Er hatte immer eine amüsante Geschichte auf Lager oder auch eine Parodie der Sprechweise berühmter Zeitgenossen, die er mit durchaus satirischer Begabung karikierten konnte.
Gaugers Vielseitigkeit war stupend. Er legte einerseits zusammen mit einem Co-Autor eine vergleichende Grammatik des Spanischen und des Deutschen vor, andererseits publizierte er auch eine „Kleine Linguistik der vulgären Sprache“ mit dem Titel „Das Feuchte und das Schmutzige“ und wiederum in eine ganz andere Richtung sich bewegend eine penible, mit allen theologischen Wassern gewaschene Lektüre des Markus-Evangeliums. Ein solcher Mann, man kann es sich vorstellen, ragte aus der über weite Strecken eher trockenen Masse der deutschen Sprachwissenschaft, hierin wiederum nur mit Harald Weinrich zu vergleichen, deutlich hervor. Dies wurde mit einer ganzen Reihe von Ehrungen auch nach außen hin deutlich. Er war über 40 Jahre lang Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und erhielt 1994 den damals noch existierenden Karl-Vossler-Preis, der vom Freistaat Bayern ausgelobt und von unserer Akademie vergeben wurde. Mit diesem Preis sollten wissenschaftliche Darstellungen von literarischem Rang geehrt werden. Dass sein Vorgänger bei diesem Preis nun wiederum Harald Weinrich war, ehrte beide Preisträger. Seit 2010 war er Mitglied unserer Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Nun ist Hans-Martin Gauger in Freiburg kurz nach seinem 89. Geburtstag gestorben.
Jens Malte Fischer