Der Opern- und Schauspiel-Regisseur, Schriftsteller, Librettist und Filmautor Hans Neuenfels wurde 1941 in Krefeld geboren. Gelernt hatte er am Max Reinhardt Seminar in Wien sowie von 1960 bis 1964 an der damaligen Folkwang Hochschule in Essen-Werden. In seiner Jugend war Hans Neuenfels auch zeitweilig Sekretär des Malers Max Ernst gewesen. 1964 begann er in Wien am Ateliertheater am Naschmarkt zu inszenieren, 1965 wurde er Oberspielleiter und Chefdramaturg in Trier. Seit diesen Anfängen war seine Theaterarbeit geprägt von einer unbedingten Befragung klassischer Texte, eine Haltung, die dann später unter dem Schlagwort „Regietheater“ sehr unterschiedliche Inszenierungshandschriften verschiedener Regisseure und Regisseurinnen subsummierte und sehr unterschiedliche Reaktionen bei Kollegen und Publikum hervorrief.
1974 trat er mit seiner ersten Opernregie, dem Troubadour in Nürnberg, hervor. Wie in seinen Theaterarbeiten zeigte sich in dieser Produktion seine herausfordernde Sichtweise auf das Opernrepertoire. Kennzeichen seiner Inszenierungskunst war das Kenntlichmachen der Schattierungen und der Ambiguität, welche die Musik einem Text beigibt.
Durch die künstlerische Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Michael Gielen und dem Dramaturgen Klaus Zehelein am Frankfurter Opernhaus in den 1970er Jahren wurde Neuenfels eigentlich berühmt. Die Abstempelung zum Skandal-Regisseur ließ nicht auf sich warten. Seine Inszenierung von Giuseppe Verdis Aida 1981 war nach Journalistenaussagen der „Opernskandal des Jahrzehnts“, die Zeit wertete diese Regiearbeit in einem Rückblick 2013 als „bahnbrechend für ein Musiktheater, das die Brisanz der großen Werke freilegte“.
Was an diesen Zuschreibungen stimmt, ist die Tatsache, dass man mit Neuenfels lernte, quasi „zwischen den Zeilen des Werkes zu lesen“, man lernte neu zu sehen und zu hören. Alle seine Interpretationen waren vom Werk selbst getrieben, von seinen bisher unterbelichtet gebliebenen oder zu eindeutig belichteten Seiten. Seine als Provokation wahrnehmbare Inszenierungshaltung erwies sich als Provokation im wörtlichen Sinn, ein „Hervorrufen“ einer verschütteten Wahrheit des gestalteten Stoffs. Viele seiner Umdeutungen oder bildhaften Neuerfindungen von Opernfiguren (beispielsweise Aida 1980 als Putzfrau oder unvergesslich der Chor in Lohengrin als Ratten, Bayreuth 2010) sind ins kollektive Gedächtnis dieser Werke eingegangen.
In Erinnerung bleibt auch der Skandal um seinen Film über Jean Genet, Reise in ein verborgenes Leben, der nach der Uraufführung im Rahmen der Berliner Festwochen 1983 nicht weiter gezeigt wurde und erst 2020 seine eigentliche Verbreitung, wenn auch nur online, erfuhr.
Jüngeren Datums ist die Kontroverse um seine Inszenierung der Mozart-Oper Idomeneo, die wegen möglicher Verletzung religiöser Gefühle 2006 zeitweilig aus dem Spielplan der Deutschen Oper Berlin genommen wurde.
Zeit seines Lebens war Neuenfels schriftstellerisch tätig. 1991 veröffentlichte er seinen ersten Roman Isaakaros. 2000 wurde sein erstes eigenes Stück Frau Schlemihl und ihre Schatten am Münchener Residenztheater und sein erstes Libretto Giuseppe e Sylvia – eine Überarbeitung seines Original-Stoffes von 1991 – mit der Musik unseres Akademiemitglieds Adriana Hölszky 2001 an der Staatsoper Stuttgart unter seiner Regie uraufgeführt. Auch für Moritz Eggert hat er ein Opernlibretto verfasst: Die Schnecke, uraufgeführt 2004 am Nationaltheater in Mannheim. 2005 schrieb und inszenierte er für die Ruhrtriennale eine „Oper mit Klavier“ mit dem Titel Schumann, Schubert und der Schnee. 2011 erschienen seine Memoiren. Er nannte sie Das Bastardbuch.
Alle, die mit ihm gearbeitet haben, berichten von seiner Nahbarkeit, Menschenfreundlichkeit, Unbedingtheit und seiner unverwechselbaren heiseren Stimme, die wie ein Rollenklischee zu seiner künstlerischen Unverwechselbarkeit gehörte.
Ab 2005 war Neuenfels Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und ab 2006 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Am 6. Februar 2022 ist Hans Neuenfels in Berlin gestorben.
Nikolaus Brass