Mit Henri Dutilleux verstarb am 22. Mai 2013 im Alter von 97 Jahren einer der großen Außenseiter unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts. Als Außenseiter galt er, da er, obwohl er von der Wiener Schule, von Ravel, Debussy und Messiaen beeinflußt war, sich nie einer bestimmten Richtung angeschlossen hatte. Er schlug sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris als Klavierlehrer, Pianist und Leiter des Opernchores durch. 20 Jahre lang betreute er die Musikproduktionen beim Französischen Rundfunk und kam mit Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono in Kontakt. »Ich zweifle ständig an meiner Arbeit«, sagte er in einem Interview über seine Kompositionen, »deshalb überarbeite ich sie immer wieder.« So kommt es auch, daß sein Werkverzeichnis nicht mehr als 20 Kompositionen umfaßt.
»Die Musik von Dutilleux«, schrieb Bertold Hummel in seinem Wahlvorschlag für die Bayerische Akademie der Schönen Künste, »vermittelt das Gefühl großer Freiheit und Sinnlichkeit, obgleich sie streng konzipiert und streckenweise vollkommen determiniert ist. Ein Paradoxon, das in der Musik des 20. Jahrhunderts nur von wenigen Komponisten aufgelöst werden konnte.«
Mit der Avantgarde stand er auf Kriegsfuß. Er bezeichnete die serielle Musik einmal als »ästhetischen Terrorismus, der die Kreativität erstickt«. Dieser mutige Ausspruch verschaffte ihm viele Feinde. Die Zeitungen wurden erst auf ihn aufmerksam, als er nach Olivier Messiaen, Pierre Boulez als dritter Franzose im Jahr 2005 den Ernst–von-Siemens-Musikpreis verliehen bekam.
Heute zählt er zu den Klassikern der Moderne.
Winfried Hiller