Herbert Achternbusch (1938–2022)
Mit Herbert Achternbusch haben sich alle schwergetan. Das zeigten zuletzt die Nachrufe, in denen immer wieder dieselben Klischees heruntergebetet wurden: Achternbusch, der Anarchist – dabei wusste er, dass alle bayerischen Anarchisten die CSU wählen, was er bestimmt nicht tat; der „einzige legitime Nachfolger Karl Valentins“ – als ob die Unterschiede zwischen diesen beiden Künstlern nicht viel mehr ins Auge stächen als ihre Gemeinsamkeiten; der „Universaldilettant“ – was in einem goetheschen Sinne vielleicht sogar freundlich gemeint war, aber eben doch unterstellt, er habe alles gemacht, aber nichts richtig, wovon entschieden nur der erste Teil wahr ist. Nein, mit Stereotypen wird man Achternbusch nicht gerecht, dem Bayern, der mit seiner Kunst und seiner Person gegen alle gängigen Bayern-Klischees anlebte. Nicht, weil er sie für falsch hielt, sondern weil ihm davor grauste.
Herbert Achternbusch, in München geboren, ist in Niederbayern aufgewachsen, in Mietraching bei Deggendorf, dem Tor zum Bayerischen Wald. Von dort hat er das Widerständige der Niederbayern mitgebracht, die sich ungern von jemandem sagen lassen, was sie zu tun und zu denken haben, und die ihren Platz hinterm Mond mit Stolz und Weltläufigkeit bewohnen. Und seine Sprache hat er von dort mit nach München genommen. Denn mit dem blasierten Münchnerisch und dem gepflegten Oberbayerisch haben Achternbuschs Sätze nichts zu tun. Eher stehen sie herum wie die knorrigen Arbermandl, schief und geheimnisvoll und doch schön, sogar elegant. Nach einem Malereistudium hat er mit Prosa begonnen in den späten 60er Jahren, als man das Erzählen verachtete und Bewusstseinsströme von vornherein unter Genieverdacht standen. Bei Achternbusch erhärtete sich dieser Verdacht häufig. Sein Thema in allen Texten, ob Prosa, Drehbücher oder Theaterstücke: Herbert Achternbusch und wie er die Welt sah. Leben, Kunst und Biertisch waren nicht getrennt. Trotzdem hatte das wenig von einer Nabelschau. Radikal subjektiv waren seine Bücher und Filme, sie kämpften mit einer Welt, die einen wie ihn nur als Narr oder Kaschperl ertragen konnte, Rollen, die er ja auch annahm, die ihn aber oft harmloser erscheinen ließen, als er war. Dazu trug er auch selbst bei, wenn er Pointen schrieb, die gut klangen und wenig bedeuteten, wenn manche Sätze offenbar so aus ihm herausflossen, wie das Bier zuvor in den Dichter hineingeflossen war. Aber wenn er auf den Punkt kam, traf er einen Nerv und war keineswegs der Clown, den viele in ihm sehen wollten.
Denn Herbert Achternbusch war ein mutiger Mann. Wer dafür einen Beweis braucht, schaue sich an, wie er in seinem Film „Bierkampf“ provozierend durch die Reihen der Besoffenen auf der Wiesn geht. Er legte sich mit der CSU an, als sie noch nicht urban weichgespült war, sondern die blanke Arroganz der Macht verkörperte und jeden für verrückt erklärte, dem Bayern mehr war als Autoindustrie, Atomstrom, Hochleistungs-Landwirtschaft und Flurbereinigung. In „Das letzte Loch“ wollte er für jeden ermordeten Juden einen Schnaps trinken, um die deutsche Schuld zu vergessen, und stellte damit nicht nur die ritualisierte Vergangenheitsbewältigung bloß, sondern kapitulierte auch in aller Schlichtheit vor dem Unbegreiflichen. Freunde hat er sich damit wenige gemacht. Achternbusch war ein Grantler, Diplomatie und Gefallsucht waren nicht seine Disziplinen. Das war vielleicht seine allerbayerischste Eigenschaft.
Achternbusch hätte mit Ausnahme der Musik in alle Abteilungen unserer Akademie gepasst: Er war Maler, Literat, Filmemacher und Dramatiker. Dass er gerade bei den Theaterleuten gelandet ist, könnte man fast für ein Missverständnis halten. Er selbst behauptete, das Theater und die, die es machten, eigentlich nicht zu mögen; er habe nur etwas vom Reichtum des Theaters abkriegen wollen, habe es auf Gagen und Tantiemen (und, ich ergänze, auch auf die eine oder andere hübsche jüngere Schauspielerin) abgesehen gehabt. Aber das muss man nicht glauben. Achternbusch wird gewusst haben, wie gut der Sound seiner Texte, die Schrägheit seiner Gedanken und die Kraft seiner Bilder ans Theater passten. Vielleicht ist das Schönste, was er überhaupt geschrieben hat, ein Theaterstück: Der Stiefel und sein Socken, uraufgeführt 1993 in der Regie des Autors, ein Spiel von Alter, Sehnsucht und vor allem Liebe, das von Freising über München nach Arizona führt. Rolf Boysen und Rudolf Wessely haben darin als Fanny und Herbert ein unvergessliches Theaterpaar verkörpert, rau und zart, gschert und liebevoll im selben Atemzug. In diesen Jahren, als ich mich noch als Schüler in Achternbuschs Werk vernarrt habe, schien seine große Zeit vorbei: Suhrkamp verramschte seine Romane, seine alten Filme waren zwar Legenden, doch die neuen fanden kaum einen Verleih. Aber im Theater blühte Achternbuschs Universum noch einmal auf, die Münchner Kammerspiele wurden zur Heimat eines frühen Spätwerks. Schade, dass er schließlich mit diesem Theater und seinen Menschen brechen wollte. Die Folge war, dass fast alle seine späteren Stücke entweder fern von München oder gar nicht mehr uraufgeführt wurden. Es wäre gut, das nachzuholen. Dann würde sich zeigen, ob Achternbuschs Werk unauflöslich mit seiner Person verbunden ist oder ob es auch ohne ihn weiterleben kann. Letzteres ist zu wünschen, denn einen wie ihn werden Bayern und München so schnell nicht mehr finden.
Durch Achternbuschs Rückzug vom Theater habe auch ich ihn nicht mehr persönlich kennengelernt. Vielleicht war das besser so. Er hätte vermutlich nichts mit mir anfangen können: Ein Gscheidhaferl, Theatermensch und auch noch ein Bewunderer, da hätte ich mich gleich schleichen können. Jetzt hat er sich geschlichen, nach langen Jahren, in denen fast nichts mehr von ihm zu hören war. Er hat sich selbst einmal als „Religionskomiker“ bezeichnet. Wenn es ein Jenseits gibt, haben sie dort jetzt was zu lachen. Aber nicht nur.
Georg Holzer
25/1/22