In liebevoller Erinnerung nehmen wir Abschied von
josef anton riedl
Komponist und Klangkünstler
Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande
* 11. Juni 1927 † 25. März 2016
So beginnt die Anzeige in der Süddeutschen Zeitung, die auf den Trauergottesdienst am 31. März in St. Nikolaus in Murnau hinweist und auf die Beerdigung im dortigen Gemeindefriedhof. Von Beileidsbekundungen am Grabe solle Abstand genommen werden.
Lieber Jo! Nun wurde also doch der »ältere Zeitpunkt« für deinen Geburtstag gewählt. Und auch dein Freund Dieter Schnebel meinte 2009 bei der Feier zu deinem 80sten, daß du vielleicht schon zwei Jahre früher 80 Jahre alt geworden sein könntest …
Lieber Jo! »Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so«. Hier paßt eine weitere Verwendung dieses berühmten Satzes aus Leonce und Lena, mit dem ich dir vor bald 50 Jahren begegnet bin, als er von Johannes Göhl so virtuos gesprudelt und gegurgelt wurde.
Lieber Jo! Auch ich glaube, daß deine Mutter dich jünger gemacht hat, damit du kurz vor Kriegsende kein Kindersoldat mehr werden mußtest und stattdessen um zwei Jahre verjüngt in Flüchtlingslagern in Frankreich und Algerien überleben konntest.
Lieber Jo! Gerade in deinen letzten Lebenstagen gab es so viele Gespräche zur planenden Vorbereitung deines 90sten eben 2017, mit Heike Lies vom Münchner Kulturreferat, bei der Musiksitzung der Bayerischen Akademie, im Orff-Zentrum und mit Dieter Schnebel am Tag nach seinem 86sten.
Lieber Jo! Für die Musiktexte soll ich jetzt was schreiben und mir fällt ein, daß ich auch Gisela Gronemeyer durch dich kennen gelernt habe. Denn wir begegneten uns in Bonn, wohin du mich eingeladen hattest, als du das dortige Kulturforum geleitet hast. Unsere Improgruppe Between spielte damals zu und mit deinen Diaprojektionen mit prächtigen Natur- und Mandala-Bildern.
Lieber Jo! In der nächsten Mitgliederversammlung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste soll deiner gedacht werden. Ich finde deine biographischen »Eckdaten« im schönen Con-Brio-Buch Klang in Aktion. Du hattest bei Hermann Scherchen studiert und wurdest von Carl Orff gefördert.
Zu Beginn der 1950er Jahre kamst du wegen deines Interesses für die Musique concrète in Kontakt mit Pierre Schaeffer und komponiertest erste Werke mit konkreten, später mit elektronischen Klängen. 1951 hast du in deiner Heimatstadt die Gruppe München der Jeunesses Musicales gegründet, für deren Veranstaltungen du jahrzehntelang verantwortlich warst. Deine Schwerpunkte: Jazz und neue Musik, Filmmusik, elektroakustische Musik, experimentelle Klangaktionen und außereuropäische Musik. 1959 hast du die Gründung des Siemens-Studios für Elektronische Musik initiiert und wurdest dessen künstlerischer Leiter. Von 1960-2009 hast du unnachahmliche Klang-Aktionen durchgeführt, Konzerte, Ausstellungen, Projekte für Kinder, Laien, und für Körperbehinderte.
Lieber Jo! Ab 1969 war ich bei vielen Klang-Aktionen aktiv dabei und wurde von dir zwischen 1974 und 1982 immer wieder in das Kulturforum der Stadt Bonn eingeladen. Und in deiner letzten Saison als Programmgestalter der Musica Viva hast du mein Nahtod-Stück last minute zur Uraufführung gebracht.
Lieber Jo! Vor bald 50 Jahren wurdest du mein Musica Viva-Lehrmeister und bist mir ein lebenslanges kritisches Korrektiv geblieben in Sachen experimenteller Musik, stets mit deinem unerbittlichen kompromisslosen ästhetischen Anspruch.
Vorbildhaft für mich waren deine Klanginstallationen, dein Einsatz von Multimedia und Lautpoesie und deine Zusammenarbeit mit Filmemachern wie Edgar Reitz, Alexander Kluge und Vlado Kristl, mit Theaterregisseuren (Fritz Kortner, Franz Xaver Kroetz), Malern (Otto Hajek), Schriftstellern (Michael Lentz) und Architekten (Paolo Nestler, Werner Ruhnau).
Lieber Jo! Deine Musik zum Reitz-Film Geschwindigkeit von 1962 wurde legendär, live gespielt noch mal im Januar 2013 anläßlich der Buchveröffentlichung Klang in Aktion. Dazu ein Zitat von dir: »Es gab Befürchtungen um die angemessene Musik. Ich habe aber gesagt, keine Angst, ich mach keine echte Musik, es gibt auch kein Ohrengekratze. Da kommt nur Schlagzeug. Und das hat dann so gefallen, daß es ein Renner geworden ist«.
1965 locktest du zusammen mit Reitz und Kluge das Publikum in einen abgedunkelten Raum, Fußbodenfläche »frei begehbar«. In Varia Vision – Unendliche Fahrt wolltet ihr mit den Mitteln des Filmes Themenbereiche zugänglich machen, die außerhalb des im Kino Möglichen und Üblichen lagen.
Lieber Jo! 1969 war es meine Aufgabe, im Berliner Schillertheater deine Bühnenmusik zur »Sturm«- Inszenierung von Fritz Kortner bei der ZDF-Aufzeichnung einzuspielen. Der Bildregisseur war damals Stefan Meuschel, der auch für deine große Filmdokumentation über elektronische Musik zuständig gewesen ist. Martin Held hatte als Prospero einen großen Monolog zu deinem Ohrengekratze vom Band. Held, verzweifelt: »Bei der Scheiße kann ich nicht sprechen! « Kortner, aus dem Zuschauerraum schnarrend: »Die Scheiße bleibt! « Kein Motto für unsere Zusammenarbeit.
Vor mir liegt das Programm Tage der Neuen Musik Hannover, Sonntag, 8. Februar 1970, NDR-Funkhaus. Josef Anton Riedl: Komposition für konkrete und elektronische Klänge/ Tonbänder/ für Stimmen/ verschiedene Instrumente/ live/ für Filme, Dias (1963/68-69) – Musik-Film-Dia-Licht-Galerie. Interpreten: Simone Rist (Stimme), Limpe Fuchs (Schlagzeug, Stimme), Paul Fuchs (Horn), Johannes Göhl (Stimme), Peter Michael Hamel (Stimme, Horn), Nicolaus A. Huber (Stimme, Hammondorgel), Michael Lewis (Schlaginstrumente), Michael Ranta (Schlaginstrumente), Josef Anton Riedl (Klangregie).
Auf YouTube gibt es die Aufnahme als LP Musik der Gegenwart.
Im emphatischen und empathischen Nachruf von Wolf Loeckle lese ich:
Das Kunstprogramm der XX. Olympiade München 1972 trug im erklingenden Bereich deutlich Riedls Handschrift, vom Anspruch her immer auf Augenhöhe und Ohrenhöhe mit den Graphic-Design- Konzepten des legendären Otl Aicher und der Ulmer Hochschule für Gestaltung. Ohne Riedl gäbe es so vieles nicht nur in München nicht, sondern in Bonn nicht, im Rest der Welt nicht.
Ohne Jo gäbe es auch mein präpariertes Klavier nicht.
Wem alles an späteren Freunden und Mentoren bin ich durch dich begegnet, Jo! Stockhausen, Kagel, Schnebel, John Cage, Morton Feldman, Luc Ferrari, Cornelius Cardew, Frederik Rzewski, La Monte Young, Terry Riley, Iannis Xenakis …
Lieber Jo! Über unsere Heimatstadt hast du gerne gelästert: »Das Provinzielle an München ist die Angst, provinziell zu sein.« Du warst nie provinziell, trotz deines ländlichen Lebensmittelpunktes in Murnau, immerhin am Ort von Gabriele Münter und Wassily Kandinsky. Lieber Jo! Ich danke dir von Herzen!
Dein Peter Michael Hamel