Als er seinen ersten Film drehte, war er fast fünfzig. Bis dahin war er Kameramann, ein guter und vor allem ein außerordentlich beliebter. Man kann in diesem Beruf auf eine noble Art alt werden. Aber bei den Dreharbeiten 1985 zum zweiten Teil der Serie »Ein Stück Himmel«, der Geschichte eines jüdischen Mädchens, das in polnischen Klosterschulen überlebt hatte, brach ein Ereignis in sein Leben ein, das mit einem Schlage alles veränderte. Er verliebte sich in die blutjunge Hauptdarstellerin Dana Vavrova. Das muss, so ist zu vermuten, in ihm etwas ausgelöst haben, das bisher brach gelegen hatte. Er beschloss, mit ihr und gewiss auch für sie, sein Leben in eine neue Dimension zu treiben. Er wurde Filmregisseur, er wurde es, so darf man es mit dem freundlichen Blick von außen beschreiben, aus Liebe. Eine Interpretation, gegen die er sich nicht mehr wehren kann.
Auf geheimnisvolle Weise hatte er auch den richtigen Stoff für sie beide gefunden, die authentische Geschichte einer niederbayerischen Bäuerin während des zweiten Weltkriegs. Warum dieser wunderbare Stoff ausgerechnet ihm, dem späten Newcomer, zufiel und nicht etwa einem weitaus mächtigeren, bereits etablierten Produzenten, das öffnet den Blick in das Geheimnis dieses Menschen Vilsmaier. Wenn er etwas wirklich wollte, dann betrieb er es mit einer Energie, einer Leidenschaft, einer Überredungskunst, die unvergleichlich ist. Es war dann unmöglich, von ihm nicht umarmt und in aller Herzlichkeit erdrückt zu werden. So geschah es zu ihrem Glück der ahnungslosen Anna Wimschneider, und so wird es in den Jahrzehnten danach noch vielen ergehen.
»Herbstmilch« wurde ein großer Publikumserfolg. Vilsmaier hatte nicht nur Regie, sondern auch die Kamera geführt und vor allem den Film selbst produziert. So wird er es auch bei den meisten seiner vielen Filme machen, die diesem folgten. Ausnahmen gab es nur bei den Großen wie »Stalingrad« oder »Comedian Harmonists«. Es sollte eine unvergleichliche Erfolgsserie werden, was nicht nur an seinem sicheren Gespür für die richtigen Stoffe lag, sondern auch an der Beharrlichkeit, mit der er seine Filme durch alle Fährnisse hindurch bis direkt zu den Zuschauern steuerte. Zusammen mit seinen Schauspielern reiste er unermüdlich quer durchs Land, um für seine Filme zu werben. Die Zuschauer liebten ihn dafür, die Kinobetreiber waren seine Freunde, aber es liebten ihn auch diejenigen, die für seine Filme das Geld geben mussten, die Fernsehredakteure und die Filmförderer.
Er war ein Bayer durch und durch, der Joseph, den alle nur Sepp nannten, in München aufgewachsen und mit dieser Sprache so verbunden, dass man Zweifel haben konnte, ob er des Hochdeutschen überhaupt mächtig war. Sein Verständigungstalent war an Sprache nicht gebunden. Als bei den Dreharbeiten zu »Stalingrad« der vorgesehene Drehort keinen Schnee hatte, erreichte er es, dass der russische Militärkommandant eine Antonow organisierte und die russischen Panzer in ein Gebiet transportierte, das über den notwendigen Schnee verfügte. Und natürlich war das, wie der Sepp sich ausdrückte, »ois umasunst«.
Vilsmaier war, was vielleicht nahegelegen hätte, kein bayerischer Heimatfilmer. Im Gegenteil, die meisten seiner Filme spielen in anderen Milieus. Nur ganz am Anfang und am Ende war er bei sich zuhause. Den letzten Film, »Der Boandlkramer und die ewige Liebe«, angelehnt an den »Brandner Kaspar«, drehte er als ein schon schwer vom Tod Gezeichneter. Dana Vavrova, die im Laufe der Jahre eine eigene Karriere angestrebt und auch selbst Regie geführt hatte, war da schon lange tot. Sie war nur 41 Jahre alt geworden.
Vilsmaiers Trauerfeier in der Sankt Michaelskirche in München war, wie sollte es anders sein bei einem, der alle kannte und den sie alle liebten, ein Staatsakt mit Ministerpräsident und ehemaligem Ministerpräsidenten, Oberbürgermeister und anderen Honoratioren, Freunden, Mitstreitern und vielen seiner verehrten Schauspieler. Sie musizierten für ihn und feierten ihn, tränenreich. Und in dem kurzen Text von Michael Herbig, der ihm zuletzt, als es nicht mehr anders ging, beim »Boandlkramer« geholfen hatte, kulminierte auf heitere Weise noch einmal, was ihn ausgemacht hatte. Herbig stellte sich vor, dass der Boandlkramer jetzt mit ihm unterwegs war und der Sepp ihn antrieb: »Fahr weida, ganz nach obn, da kenn i oanen.«
Günter Rohrbach