Kein Deutscher hat so viel und so erfolgreich für die deutsch-polnische Aussöhnung nach dem verheerenden Krieg getan wie Karl Dedecius. Er war Übersetzer. Schon als er mit allen deutschen und polnischen Orden behängt war, Direktor eines Instituts und Friedenspreisträger geworden war, als er Ehrendoktorhüte auf dem Kopf hatte und Professorentitel tragen durfte, hat er sich immer als Übersetzer gesehen, als unermüdlichen Vermittler der polnischen Literatur.
Ich habe Karl Dedecius hier in München kennen gelernt, unmittelbar nach dem Einfall der sowjetischen Truppen in die damalige Tschechoslowakei. Er arbeitete in der Marketingabteilung der Allianz Versicherung. Und so wie Brecht bei unvermuteten Besuchen immer seinen Karl Marx über den Krimi von Edgar Wallace gezogen hat, so schob Karol immer einen Geschäftsbericht über ein polnisches Gedicht, an dem er gerade arbeitete. Er gab mir den Auftrag, ganz rasch ein Bändchen mit tschechischer und slowakischer Poesie zusammenzustellen, das die Allianz als Jahresgabe verschenken wollte. Es wurde mein erstes Buch.
Die Freundschaft dauerte bis zu seinem Tod. Zu seinem 95. Geburtstag wollten wir ihm in der Akademie eine Feier ausrichten, die nun ein Erinnerungsabend wird.
Neben den Aphoristikern – an erster Stelle natürlich Stanislaw Jerzy Lec, mit dem Dedecius befreundet war und den er bei uns populär gemacht hat – waren es vor allem die polnischen Dichter, auf die er sich konzentrierte. Wo wir alle möglichen Verrenkungen machen mußten, um unser Interesse an der polnischen Literatur zu begründen, konnte er als Deutsch-Pole unbefangen diskutieren. Dieser 1921 in Łódź geborene Literat hat uns mit den Gedichten des im kalifornischen Exil lebenden polnischen Weltmanns Czeslaw Milosz bekanntgemacht, mit Zbigniew Herbert und Tadeusz Rózewicz aus Lemberg bzw. Radomsk, mit der Krakauerin Wislawa Szymborska, aber auch mit der jüngeren Generation von Ewa Lipska bis zu Adam Zagajewski. Seine umfangreichen Anthologien zur polnischen Literatur insgesamt waren Meilensteine der Annäherung, weil Dedecius sich eben nicht nur auf die Nobelpreisträger konzentrierte, sondern die gesamte Moderne im Blick hatte von Norwid bis zu den Krakauer Experimentellen.
Im Winter 1979/80 krönte er seine Vermittlertätigkeit mit der Gründung des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt und der von der Bosch-Stiftung geförderten Polnischen Bibliothek bei Suhrkamp, in der die gesamte Polnische Literatur in einer Weise präsentiert wurde, die keiner anderen Literatur eines Landes des ehemaligen Warschauer Pakts gelungen ist.
Ich möchte aber auch daran erinnern, daß Karl Dedecius, der zum Reichsarbeitsdienst gezwungen wurde und später zur Wehrmacht, die Jahre der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion dazu genutzt hat, die russische Sprache zu erlernen und die russische Literatur lieben zu lernen. Von dieser Beschäftigung zeugen viele Übersetzungen, unter anderem die erste Übertragung der »Elegie für John Donne« von Joseph Brodsky, der damals als ein noch literarisch unbeschriebenes Blatt gerade vom russischen Geheimdienst entdeckt worden war. Auch den berühmtesten serbischen Dichter seiner Zeit, Vasko Popa, hat Dedecius liebevoll übersetzt.
Ich erinnere mich, daß er in den siebziger Jahren oft gesagt hat, ich muß mich beeilen, wenn ich alles noch schaffen soll, was ich mir vorgenommen habe. Jetzt ist er mit 95 Jahren gestorben. Wir werden ihn nicht vergessen.
Michael Krüger