Während ich diese Zeilen zu einem Nachruf auf den israelischen Schriftsteller Meir Shalev schreibe, haben die Milizen der Hamas versucht, Israel in einen weiteren Krieg zu zerren – diesmal mit Methoden, die an Grausamkeit nicht zu überbieten sind. Die Bilder, die uns die sogenannte Befreiungsbewegung zugemutet hat, gehen uns in ihrer widerlichen Brutalität nicht mehr aus dem Kopf. Armes Palästina, dass du dich von solchen Verbrechern vertreten lassen musst; armes Deutschland, dass auf deinen liberalen Straßen pöbelnde Deutsche und aggressive Araber Hand in Hand den baldigen Untergang Israels herbeiwünschen; arme Universitäten weltweit, an denen Hochschullehrer unterrichten, die für die Opfer dieses Blutbads keinerlei Mitleid empfinden und diese Abschlächterei als von der Religion gebilligte, notwendige Reaktion eines überfälligen Antikolonialismus verbuchen. Immer, wenn zu diesem skandalösen Fall neue Berichte aus Harvard, London oder auch aus deutschen Hochschulen eintreffen, muss ich an den feinen, ironischen, klugen und manchmal sehr traurigen Meir Shalev denken.
Was hätte der begnadete Ironiker, der im Jahr der Staatsgründung Israels 1948 auf die Welt gekommen ist, zu einer solchen Situation gesagt? Hätte es ihm die Sprache verschlagen? Einem befreundeten Schriftsteller gegenüber hat er einmal, lange vor dem Oktober 2023, geäußert: „Ich pflege gutnachbarliche Kontakte zu den arabischen Mitbürgern, so sorge ich vor, damit sie mich bei der großen Abrechnung am Leben lassen.“ Am Leben geblieben ist er nach einer äußerst schweren Attacke seiner eigenen Kameraden, die am Ende des sog. 6-Tage-Kriegs 1966 versehentlich auf ihn geschossen und ihn schwer verletzt haben. Aber das war lange vorbei; und er ist vor „der großen Abrechnung“ an einem Krebsleiden verstorben.
Meir Shalev war nach dem auch bei uns beliebten Satiriker Ephraim Kishon, der den Klamauk nicht scheute, der erste israelische Humorist dieser aus guten, wenn auch traurigen Gründen für Satire, Ironie und tiefere Bedeutung bekannten Literatur. Seine Kolumnen in der Zeitung Yedioth Ahronoth las jeder, sie waren die Chronik der laufenden Ereignisse eines Landes, das sich zwischen den Kriegen einrichten und überleben wollte. Seit Meir Shalev aus der Armee entlassen war, kämpfte er mit vollem Einsatz für die Zwei-Staaten-Lösung des Nahost-Problems: Israel verzichtet auf die Gebiete, die es seit 1967 besetzt hält, die Palästinenser (und ihre Verbündeten) erkennen die Grenzen von 1948 als israelisches Staatsgebiet an. Warum diese einfachste und klügste Lösung weder von den Orthodoxen auf beiden Seiten, die alles beanspruchten, noch von der Partei Netanjahus umgesetzt wurde, wird immer ein Rätsel bleiben – aber solange es nicht zwei Staaten gibt, so die feste Überzeugung von Meir Shalev, wird es keinen Frieden geben. Heute, nach den massenhaften Demonstrationen gegen die Regierung Netanjahus und nach den heimtückischen Überfällen der Hamas-Milizen fehlt die Stimme dieses klugen Beobachters. Es erübrigt sich zu erwähnen, was er von Netanjahu hielt: nichts.
Meir Shalev gehörte einem „Clan“ von Schriftstellern an. Sein Vater war der Dichter und Lehrer Jitzchak Shalev, sein Onkel Mordechai ein bekannter Literaturwissenschaftler, sein Bruder war Historiker, seine Cousine ist die auch bei uns viel gelesene Romanautorin Zeruya Shalev, die ihrerseits mit dem Schriftsteller Ayal Megged verheiratet ist, dem Sohn des Chronisten von Jerusalem, Aharon Megged. Seine schriftstellerische Karriere begann Meir Shalev beim Radio mit einer Wochenendsendung, die das geplagte Volk aufheitern musste. Aber dann folgten in schöner Regelmäßigkeit Romane und Erzählungen, die sich mit wunderbaren Kinderbüchern abwechselten. Mein Lieblingsroman ist Ein russischer Roman, der in einem sehr frühen Kibbuz spielt, mein Lieblingskinderbuch handelt von einer Laus, die auf einer Glatze glücklich wird, und der schönste Titel seines Werks ziert sein Buch Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger.
Wir sollten diesen liebenswerten Autor im Gedächtnis behalten.
Michael Krüger