Mit Michael Verhoeven hat die Bayerische Akademie der Schönen Künste am 22. April 2024 eines ihrer produktivsten, treuesten und aufrechtesten Mitglieder und Mitstreiter verloren. Eine ganze Generation, die Mitte der 1960er Jahre unter dem Begriff Neuer Deutscher Film bekannt wurde, trauert um einen ihrer verlässlichsten Freunde. Seine Fähigkeit zur Freundschaft zeigte sich immer, wenn es darum ging, die Filmkunst vor Bevormundung durch Politik und Ideologien zu schützen. Selten konnte man unter den Filmemachern einen Kollegen finden, der so wachsam war wie er, wenn es darum ging, die gesellschaftlichen Strömungen zu beobachten und daran zu erinnern, dass sich die Verbrechen der NS-Zeit jederzeit wiederholen können. Als Sohn einer traditionsreichen Münchener Schauspielerfamilie verfügte Michael über tief in seine Seele eingebrannte persönliche Erfahrungen mit der NS-Zeit, die immer wieder in seinem Werk zum Thema wurden. Michael war einer der bekanntesten Autoren, Produzenten und Regisseure meiner Generation. Seine politischen und zeitgeschichtlichen Filme erschöpfen sich nicht in ihrer unerschütterlichen Menschlichkeit, sondern gelangen vor allem in der Schauspielführung und der Genauigkeit der Menschen-Beobachtung zu internationaler Wirkung. Was viele nicht wissen, ist, dass Michael Verhoeven ursprünglich ein promovierter Mediziner war, der einige Jahre als Arzt gearbeitet hatte, bevor er sich dem Film zuwendete.
Der Film Die weiße Rose über die Münchener Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl wurde zum Klassiker. Im Jahr 1970 zeigte Verhoeven den Film o.k., der ein reales Verbrechen aus dem Vietnamkrieg nach Bayern verlegt und damit einen unvergesslichen Skandal auf den Berliner Filmfestspielen auslöste. Erst gegen Ende seines Lebens entschuldigten sich die Filmfestspiele für ihre Blindheit bei der Beurteilung dieses Werkes. Mit seiner Frau, der Schauspielerin Senta Berger, gründete Verhoeven 1965 die SENTANA-Filmproduktion, mit der er über 40 Filme für das Kino und das Fernsehen herstellte, darunter Das schreckliche Mädchen, eine politische Komödie, die das Problem einer ungenügenden Vergangenheitsbewältigung beleuchtet. Der Film fand internationale Beachtung und wurde für den Oscar nominiert. Michael Verhoeven erhielt viele nationale und internationale Preise und war Ehrenmitglied der Deutschen Filmakademie, Mitglied der Berliner Akademie der Künste und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. In den Akademien engagierte sich Michael besonders in Fragen der Kulturpolitik und setzte sich für die Freiheit der Künste ein. Bei der Gründung unserer Sektion Film- und Medienkunst wurde Michael Verhoeven das erste Mitglied und prägte über eine Reihe glücklicher Jahre das Gesicht der Abteilung.
Der Tod unseres Freundes und aufrechten Mitstreiters für die Filmkunst ist schwer zu verkraften, denn mit Michael verlieren wir einen der wenigen wirklich treuen Gefährten, auf den man sich in Not und Gefahr ebenso verlassen konnte wie in guten Zeiten. Michael besaß die Fähigkeit zur Freundschaft wie kein anderer. Das macht seinen Verlust besonders schmerzlich.
Edgar Reitz