Zum Tod von Nikolaus Lang
Nikolaus Lang, diesem bescheidenen, zutiefst humanen und der Schöpfung verbundenen Künstler, war stets das Sehen und Sammeln, das Umherschweifen in der Natur wichtig. In den letzten Monaten seines Lebens konnte er, gezeichnet von Krankheit, sein Haus und sein Atelier in Murnau nicht mehr verlassen. Ihm, dem Wanderer, blieb nur der Blick auf die Welt, die er um sich hatte: sein Archiv. Dort konnte der Spurensucher Lang die Spur des eigenen, künstlerischen Lebens verfolgen, das in den 1960er Jahren mit dem Studium an der Münchner Akademie begann und in dem er mit seiner Aktion Short Walk im öffentlichen Park von Wimbledon 1970 international bekannt wurde. Diese Arbeit war eine Anordnung von Fundstücken, auf die er beim Gang durch den Park stieß und die er aufhob, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn, und sie in Sichtkästen präsentierte. Ei und Zigarettenkippen und Überreste sogenannter „Schäferstündchen“. Dazu einen Pilz und ein sich begattendes Kröten- und Schneckenpaar, beide in mit Formalin gefüllten Plexiglaskästchen fixiert. Ein Spannungsfeld zwischen Natur, Zivilisation und Kultur, zwischen Zeit und Erinnerung, Leben und Tod. Damit zählte er zu den Begründern der „Spurensuche“, wie die Kunstgeschichte diese künstlerische Bewegung später nannte. Nikolaus Lang ging es um kein Label. Er stellte lapidar fest: „Mich interessiert das Leben.“ Und das in jeder Hinsicht und sein Leben lang. Ob er sich in Australien mit dem Schicksal europäischer Siedler wie dem der Aborigines beschäftigte und die gesammelten Reste und Lebensspuren, die besonderen Erden des Landes in überaus poetischen, stillen Rauminstallationen anordnete und ausstellte, oder ob er 1987 auf der documenta 8 eine Installation aus der damals noch unberührten Schlucht der Ammer zeigte: eine skulpturale Arbeit aus Torfziegeln, die bewässert wurde, um nicht zu verfallen. Deshalb bildeten sich im Lauf der Ausstellung Pflanzen, die die Arbeit überwucherten, während die Ziegel ihre Form verloren. Damit zeigte er eine Metamorphose. Veränderung im Feld von Natur und Zivilisation, Leben und Zeit, Vergehen und Entstehen. Das wurde zu Nikolaus Langs Lebensthema. Selbst mit seinem Opus magnum Für die Geschwister Götte war – ungewollt – ein gewaltiger Verlust verbunden. Er hatte die Arbeit als Erinnerung an Außenseiter, die auf einem Einödbauernhof in der Nähe der Ammerschlucht lebten, geschaffen. In den 1970er Jahren, nach dem Tod der letzten Schwester, begann er, die Überreste des gelebten Lebens zu sichern. Dies verknüpfte er mit seinem Leben, zog mit seiner Familie in das einsame Haus, wohnte und arbeitete dort für Jahrzehnte, bis ein Brand 2003 es zusammen mit großen Teilen seiner Kunst zerstörte, und die Familie nach Murnau ziehen musste. Die geretteten Fragmente, tausende vom Feuer angegriffene Relikte des eigenen wie des Lebens all derer, deren Spuren er gesammelt hatte, verwandelte Nikolaus Lang erneut in eine künstlerische Installation, in ein künstlerisches Fortleben. Daran arbeitete er bis zu seinem Tod.
Ein Sichten und Ordnen und Verwandeln. Er ist am 11. Februar, einen Tag vor seinem 81. Geburtstag, gestorben.
In seiner Traueranzeige steht ein Zitat aus William Shakespeares Der Sturm:
Wir sind vom Stoff,
aus dem die Träume sind;
und unser kleines Leben
beginnt und schließt ein Schlaf.
Wilhelm Christoph Warning