Wenn man sich einen Überblick verschafft über das konkurrenzlos vielfältige Werk von Rebecca Horn, über ihre poetischen Texte und ihre Performances, ihre Rauminstallationen und kinetischen Objekte, ihre Spiel- und ihre Dokumentarfilme, dann sieht man nicht nur eine kontinuierliche künstlerische Entwicklung vor sich, dann erkennt man auch, dass in all ihren höchst individuellen Einzelwerken etwas in Bewegung ist, etwas sich in den umgebenden Raum hinein entwickelt. Das begann mit den Körper-Verlängerungen und -Verschleierungen, mit denen die Künstlerin nicht nur ideell einen Schritt in Richtung Kunst, sondern auch physisch den ersten Schritt in Richtung Öffentlichkeit gemacht hat. Im Jahr 1970 hat sich Rebecca Horn ein meterlanges Horn – es spielt auf ihren Nachnamen an – auf den Kopf geschnallt und sich dann mit dieser Prothese auf einem Feld als Kunstwerk präsentiert, als Objekt ausgestellt. Schon diese erste Performance, diese erste vor Publikum vollzogene Ausweitung in den Raum wurde mit einer Filmkamera festgehalten.
Bewegung war dann auch bei den in den folgenden Jahren geschaffenen kinetischen Skulpturen und Rauminstallationen das alle Teile miteinander verbindende poetische Element. In den Raum gehoben und in Bewegung versetzt hat Rebecca Horn am liebsten Gegenstände, mit denen wir Menschen auf irgendeine Weise emotional verbunden sind: Musikinstrumente, Leitern, Schreibmaschinen, Vogelfedern, Bettgestelle, Leuchtkörper, Tierpräparate. All diese dem Alltag entwendeten Elemente werden in den Installationen von versteckt angebrachten Motoren so sanft in Bewegung gesetzt, so elegant durch den Raum gewirbelt oder so beredt zum Klingen gebracht, dass man die Melodie zu hören meint, die von der Künstlerin hier angestimmt worden ist. Neben musischen Gedanken können aber auch politische Assoziationen in den Kombinationen von Gegenständen mitschwingen. So sind in der extrem hohen Installation Turm der Namenlosen an mehreren übereinanderhängenden Leitern Geigen befestigt, die von Metallbögen mechanisch grob gekratzt werden. Mit diesem Turm der unschönen Laute hat Rebecca Horn 1994 in Wien den Kriegsflüchtlingen aus dem Balkan ein sprechendes Denkmal gesetzt.
Am lebendigsten wirkt das Element Bewegung natürlich in den beiden Langfilmen La Ferdinanda und Buster’s Bedroom, die Rebecca Horn mit bekannten Schauspielern an sehr spezifischen Orten – die Titel spielen darauf an – gedreht hat. Man könnte diese Filme auch als Rauminstallationen mit sprechenden Personen bezeichnen, oder auch als Ausstellungen kinetischer Objekte, die von menschlichen Gefühlen bewegt werden. In Buster’s Bedroom (1990) bezieht sich Rebecca Horn motivisch auf zwei Gegenstände, die sie schon in der Installation Memorial Promenade auf irritierende Weise miteinander kombiniert und in Bewegung gesetzt hat. Das eine ist ein Rollstuhl, der sich in der Installation unablässig auf einer auf dem Boden markierten Kreislinie hin- und herbewegt. Das andere ist eine Zwangsjacke, die sich in der Installation, angetrieben von einem Elektromotor, in unregelmäßigen Intervallen hebt und senkt und damit den Eindruck eines atmenden Organs hervorruft. Im Film fangen zwei der auftretenden Frauen an, sich mit diesen beiden Gegenständen, die ihre Bewegungsfreiheit extrem einschränken, zu beschäftigen. Das beunruhigende Gefühl der Unsicherheit, ja der Bedrohung, das in der Installation von den mechanisch belebten Gerätschaften ausging, geht im Film also von den Figuren aus, die sich – freiwillig oder unfreiwillig? – der harten Einschränkung unterziehen.
Rebecca Horn hat mit ihren poetisch-ironischen Vermischungen überkommener Kunstformen und mit ihren phantasievollen Raum-Aktionen überall in der Welt höchste Anerkennung erfahren. Viermal wurde sie auf die documenta eingeladen. Und in den Weltstädten der Kunst sind Retrospektiven für sie eingerichtet worden. Seit 1998 war Rebecca Horn Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Am 6. September 2024 ist sie in Bad König gestorben.
Gottfried Knapp