* 1. April 1931 Eschwege, † 13. Mai 2020 Berlin
Rolf Hochhuth war ein erfolgreicher Verlagslektor, bevor er 1963 mit dem Stellvertreter sein Debüt als Dramatiker gab. Sein Stück war gleich ein großer internationaler Erfolg und weithin umstritten – nicht seiner Ästhetik, sondern seiner These wegen: Warum hat Papst Pius XII. nicht gegen den Holocaust protestiert, obwohl er sehr genau wusste, was da organisiert wurde? Unter den Reaktionen auf dieses Stück, das pikanterweise in Teilen im Vatikan recherchiert und geschrieben wurde, gab es auch milden Spott von Kollegen, der junge Autor möge doch erst einmal die Form bewältigen anstatt der Geschichte. Seine ästhetischen Mittel waren nie besonders up to date – allerdings war die ‚schöne‘ Literatur damals und ist sie heute voll von Skeptikern und Fatalisten, die bedauern, dass ihre Arbeiten nichts ‚bewirken‘ könnten. An der Wirkung seiner Literatur hat er nie gezweifelt, und seine Laufbahn war nicht arm an Skandalen, bis hin zum unfreiwilligen Abtreten eines Landes-Ministerpräsidenten, dessen Vergangenheit als NS-Jurist Hochhuth in einer dokumentarisch gearbeiteten Erzählung und einem Theaterstück (Eine Liebe in Deutschland, 1978; Juristen, 1979) ausgestellt hatte.
Mit seinen Theaterstücken, Erzählungen, Gedichten und Essays war er Chronist der fehlenden Aufarbeitung deutscher Schuld in der nationalsozialistischen Diktatur, er hat die Prozeduren des Einigungsprozesses (Wessis in Weimar, 1993) ebenso angegriffen wie die kapitalistische Wirtschaftsordnung (McKinsey kommt, 2004). Seine Kritik war dabei keine marxistische, sie kam aus dem Geist des 19. Jahrhunderts, aus dem Skeptizismus Jacob Burckhardts: Der Mensch bleibe sich durch die Zeiten immer gleich, die gesellschaftlichen Strukturen und noch die Verbrechen der Menschheit wiederholten sich. Aus diesem Skeptizismus heraus hat Hochhuth unbeirrt in seinen Attacken konkretisiert und personalisiert, er hat über Rebellen (wie Georg Elser) ebenso nachgedacht wie über Menschen, die nach seinem Empfinden moralisch versagt hatten (Churchill, Hemingway und viele andere), über Tyrannenmord und Genozid.
In seiner Lust an der Polemik, im Schreiten von Konflikt zu Konflikt war er keineswegs unfehlbar, trotz seiner Sucht nach Geschichten aus der Geschichte, trotz seiner Arbeitsweise, die näher an der eines Historikers war als an der eines Poeten. Rolf Hochhuths Beobachtungen in der jüngeren und ferneren Geschichte waren aus einer grundsätzlichen Empathie heraus entstanden und sollten sie auch bei seinen Leserinnen und Lesern erzeugen. Es ging ihm nie um die Unheilsgeschichte(n) ‚an sich‘, sondern um ihre Bedeutung für das Heute. Bei aller bereitwilligen Empörung blieb er diskussionsbereit und revidierte auch Positionen, wo er über das Ziel hinausgeschossen war. Seine größten Meriten liegen in den Anklagen, die er als politischer Publizist formuliert hat – und in seinem singulären Gespür für Stoffe. Es wird gern vergessen, dass auch das Finden eines Stoffes eine ästhetische Kategorie ist; und dieses sein Gespür wird fehlen.
Sven Hanuschek