Persönlicher Nachruf
»Nichts ist so lebensfüllend wie das Theater«
Das ist ein Zitat von Sir Peter Jonas.
Seit früher Jugend war auch für mich Theater die Treibkraft meines Lebens – und mit seiner klaren Behauptung hat er das auf den Punkt gebracht.
In der Vorbereitungsphase meiner Werkausstellung an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und dem Deutschen Theatermuseum 2015 suchten wir nach einem passenden Titel. Vorsichtig fragte ich Peter, ob ich seinen visionären Satz benützen dürfe. »Selbstverständlich, ich würde mich freuen, wäre stolz darauf« war seine spontane Antwort.
Er lebte diese Vision vor, täglich – 45 Jahre lang, im Kampfe gegen seine heimtückische Krebserkrankung, nie resignierend, unfassbar optimistisch, mutig und tapfer! Die Kraft des Theaters in all seinen überlieferten, aber auch immer wieder neu entwickelten Facetten – von Oper, Schauspiel, Tanz, Musik, Gesang, Sprache, Bewegung und Bild nutzte er mit der Summe aller Sinne, seiner Intelligenz und seinen Emotionen als Aufputschmittel und Medizin für seinen Überlebenskampf.
Sein Humor, seine analytische Neugierde und sein Entdeckergeist waren für mich immer wieder verblüffend. Peter Jonas war eine Führungspersönlichkeit, der man mit großem Respekt begegnete.
Während seiner Intendanz an der Bayerischen Staatsoper vertraute er mir reizvolle Aufgaben als Bühnen- und Kostümbildner mit Dieter Dorn (Mozarts Cosi fan tutte, Le Nozze di Figaro) und Thomas Langhoff (Berlioz‘ La Damnation de Faust, Smetanas Die verkaufte Braut und Webers Der Freischütz) an, bis er mich mit Verdis monumentalem Don Carlo zu meinem Münchner Regiedebüt Mut machend überredete. Es folgten Janaceks Das schlaue Füchslein und Bellinis Norma. In diesen Jahren hat sich zwischen uns eine starke Freundschaft entwickelt.
Peter Jonas begleitete all meine Arbeiten ungewöhnlich aufmerksam und interessiert, auch oft mit großer Geduld, wenn mich meine Selbstzweifel quälten.
Natürlich sah er auch unsere wichtigen Schauspiel-Inszenierungen an den Münchner Kammerspielen oder später im Residenztheater.
Uns Künstlern begegnete er mit großem Respekt und schenkte uns viel Vertrauen. Damit setzte er seine Visionen durch, konsequent, erstaunlich ausdauernd, wenn nötig aber auch mit Härte.
Peter war aber auch zu großer Empathie fähig, konnte Trost spenden. Ich erlebte das persönlich, bei einem plötzlichen Zusammenbruch während des Premierenapplauses auf der Bühne. Seine unerwartete, für ihn selbstverständliche, spontane Fürsorge in diesem heiklen Moment und der Folgezeit hat für mich die Freundschaft noch bleibend vertieft.
Bei den «Don Carlo»-Vorbereitungen schickte er mich nach Madrid in den Prado und zum Palast El Escorial, um vor Ort authentisch die Zeit um Philipp II. an Gemälden der großen spanischen Maler zu studieren, genau wissend, dass mich diese Reise sehr inspirieren und für die Produktion große, wichtige Impulse bringen würde.
Nach erneuter großer Skepsis dem Projekt gegenüber schickte mich Peter beim Schlauen Füchslein, fast als Befehl, für einige Zeit mit Janaceks Partitur in meine Murnauer Waldeinsamkeit, um dem Werk emotional zu begegnen und seine Herrlichkeiten entdecken zu können. Wie ein schicksalhaftes Omen besuchte mich in meinem Garten eine Füchsin mit ihren Kindern – und ich musste Peter zusagen. Aus seiner Beharrlichkeit und seinem Vertrauen entstand letztlich eine meiner wichtigsten Theaterarbeiten.
Ja, dieser Peter Jonas, dieser große Impulsgeber, Ideenschenker, war schon eine der eigenwilligsten, stärksten Theaterpersönlichkeiten, denen ich zu begegnen das Glück hatte, vergleichbar nur mit dem anderen Londoner Exoten, John Cranko, der mich 30 Jahre zuvor in Stuttgart so in seinen Bann gezogen und künstlerisch bleibend beeinflusst hat.
Peter Jonas – so viele Bilder, Zustände und Situationen mit ihm sind konkret und abrufbar:
– sein überaus konzentriertes Zuhören und Zuschauen während der Proben und Vorstellungen …
– diese vielen lebendigen Erzählungen seiner Reisen, z. B. über die 5000 km lange Wandertour von Schottland bis nach Sizilien, um Europa in seiner Vielfalt verstehen zu lernen …
– seine große Begeisterung für die spanische Maler des 17. Jahrhunderts, vor allem für Zurbaran, Velasquez und Alonso Cano und sein immenses Wissen über die historischen Zusammenhänge dieser Zeit …
– der Stolz und die Liebe für seine private Sammlung beeindruckender Gemälde und Skizzen aus dieser Epoche in seiner Züricher Wohnung, die Sehnsucht danach vom Krankenbett aus …
– seine detaillierten Erzählungen und Hinweise von meiner geplanten Andalusien-Reise im vergangenen Herbst – schon schwer von der Krankheit gezeichnet – aber mit leiser Stimme, die unbedingt notwendigen Sehenswürdigkeiten und Gemeintipps geradezu enthusiastisch anpreisend …
– seine Lust an gutem Essen und guten Weinen und seine spendable Großzügigkeit …
– sein spezielles Outfit im schottischen Kilt des eigenen Clans zu besonderen Anlässen …
– sein großes, ihn stolz machendes Kinderspielzeug, der Ferrari, mit dem er auf den Schweizer Straßen zwar nur 120 km/h fahren, aber hinter der Grenze, auf deutschen Autobahnen, Gas für die Höchstgeschwindigkeit geben durfte …
– so viele Zusammenbrüche, Todeskrankheiten, Depressionen, neue Operationen, neue Hoffnungen, neue Therapien, die großen Schmerzen mit übermenschlichem Willen und Disziplin getragen, Genesungen – immer wieder Freude, doch dem Tod noch einmal entkommen zu sein – und dann dieser ganz spezielle Galgenhumor, schwarze Witze über sich und seine Krankheiten zu machen …
Aus all diesen Aspekten resultierten seine große, außergewöhnliche Individualität und seine Ausstrahlung, der sich kaum jemand zu entziehen vermochte.
Vieles bleibt in Erinnerung.
Vieles, was Peter Jonas gedacht, gesagt, oder geschrieben hat, wird lange Bestand haben.
Jürgen Rose