(geboren am 1. April 1927 in München – gestorben am 4. Januar 2013 in München)
„Und dann ging das Ganze eben relativ schnell“, so beschrieb Thomas Holtzmann den Verlauf seiner Karriere als Schauspieler. Das Ganze begann 1952 am Landestheater Schleswig mit der Rolle des Marquis Posa in Schillers Don Carlos. Also gleich mit einem jener klassischen Helden, die Thomas Holtzmann alle, zum Teil mehrfach, gespielt hat. Oft wird deshalb das Klassisch-Heroische seines Spiels betont, zu Unrecht, denn ihn interessierten nicht die Weltanschauungen, sondern Entdeckungen. Figuren, die die Welt nicht erklären, sondern erkunden.
Außerhalb der Theater tat er das, zusammen mit der Schauspielerin Gustl Halenke, mit der er seit 1956 verheiratet war, auf ausgedehnten Welt-Reisen zu Lande und unter Wasser als Tiefseetaucher. „Hingerissen“ war er „von komischen Sachen“, in denen er als Schauspieler Brüche, Widersprüche, großen Ernst und damit große Komik sah.
„Ich hatte Spaß und vielleicht hatten auch einige Leute Spaß dabei“, so sein lapidar-bescheidener Kommentar.
Das Studium bei dem berühmten Theaterprofessor Arthur Kutscher in München, vor dem ersten Engagement, wollte er nicht herausstellen. Den Blick von außen, auf das Spiel, die Rolle, das Stück und seine Wirkungsmöglichkeiten aber hatte er auch.
Das „Naturtalent“ spielte zunächst in rascher Folge in Nürnberg, Saarbrücken und Köln, ab 1958 dann in Berlin und an allen wichtigen deutschsprachigen Bühnen.
Ab 1958 arbeitete er mit Boleslaw Barlog und Hans Lietzau am Schillertheater in Berlin, dort kam es 1959 auch zur ersten künstlerischen Begegnung mit Fritz Kortner, der einer von Holtzmanns wichtigsten Regisseuren wurde.
1969 arbeitet er fast ausschließlich mit ihm am Hamburger Schauspielhaus: als Roller in den Räubern, als Antonius in Shakespeares Antonius und Cleopatra und als Clavigo. In dieser Inszenierung Kortners war sein Gegenspieler Rolf Boysen, mit dem er bis zum Ende seines Lebens auf der Bühne und im Leben eng verbunden blieb. Ihre letzten gemeinsamen Arbeiten waren unter meiner Regie Shakespeares Kaufmann von Venedig und die ungleichen Brüder in Thomas Bernhards Der Schein trügt. Seit 1977 spielte Thomas Holtzmann fast ausschließlich in München, bis 2001 an den Münchner Kammerspielen, dann am Bayerischen Staatsschauspiel, in vielen Inszenierungen von mir, George Tabori, Alexander Lang, Barbara Frey und Peter Zadek.
Er war darüber hinaus in Berlin (Regie Luc Bondy) und bei den Salzburger Festspielen (Regie Peter Stein) zu sehen. Zum letzten Mal trat Thomas Holtzmann auf der Bühne des Residenztheaters in einer Lesung mit seiner Frau Gustl Halenke im Februar 2010 auf.
Thomas Holtzmann habe ich 1969 kennengelernt; wir arbeiteten am gleichen Theater. Damals probte ich am Deutschen Schauspielhaus Hamburg Hamptons Der Menschenfreund, parallel probierte Fritz Kornter Goethes Clavigo mit Thomas Holtzmann in der Titelrolle und Rolf Boysen als dessen Freund Carlos. Auf der Bühne hatte ich Holtzmann aber schon früher gesehen und bewundert, nämlich 1959 in der Zoogeschichte von Edward Albee im Schillertheater, und dann wieder 1961, als der deutschfranzösische Film Wer sind Sie, Dr. Sorge? von Yves Ciampi in den Kinos lief, in dem Holtzmann den berühmten sowjetischen Spion verkörperte, der 1944 in Japan hingerichtet wurde, weil er den Sowjets die Angriffspläne Hitlers verraten hatte.
Thomas Holtzmann hat weit mehr als 130 Rollen gespielt, alle großen Klassiker, aber auch viele zeitgenössische Figuren in Stücken von Herbert Achternbusch, Anouilh, Audiberti, Thomas Bernhard, Samuel Beckett, Tankred Dorst, Jean Genet, Christopher Hampton, Peter Handke, Ernst Jandl und Botho Strauß.
Als ich von Berlin an die Münchner Kammerspiele ging, freute sich der damalige Intendant Hans-Reinhard Müller über jeden Schauspieler, den ich aus Berlin mitbrachte, aber auf Knien bat er mich, ein Engagement von Holtzmann noch einmal kritisch zu überdenken. Er meinte, weil Holtzmann am Residenztheater schon so viel gespielt habe, würde das nicht für einen Aufbruch der Kammerspiele stehen.
Doch ich war vernarrt in diesen Schauspieler und habe ihn in meiner zweiten Münchner Spielzeit, 1977/78, für die Rolle des Dr. Schön in Frank Wedekinds Urfassung der Lulu an die Kammerspiele gelockt, wo er bis 2001 auch bleiben sollte.
Er war ein paar Jahre später bei den Salzburger Festspielen und dann auch an den Kammerspielen in meiner Torquato Tasso-Inszenierung der Staatssekretär Antonio Montecatino, und ich meine, er konnte diese Figur überhaupt nur so außerordentlich spielen, weil er über die Jahre als Tasso die Gegenposition eingenommen hatte. Als Antonio war er ein alt gewordener Tasso, einer, der als junger Mann sich entscheiden mußte, ob er weiter Gedichte oder Reden des Herzogs schreiben sollte. Damit erreichte Holtzmann eine schauspielerische Dimension, an die die anderen nicht herankamen; ich meine diese Einsamkeit des Intellekts, die wie Hochmut aussieht. Der andere Antonio, den Holtzmann viele Jahre später spielen sollte, nämlich im Kaufmann von Venedig, war ganz ähnlich von einsamer Größe umflort. Als ich 1991 begann, König Lear zu inszenieren, mit Rolf Boysen als Lear, fragte ich Holtzmann, ob er mit dabei sein würde, aber es sei die zweite, nicht die erste Rolle, es wäre Gloucester, und der sagte nur: „Ja, finde ich richtig.“
Es wäre schön gewesen, wenn ich auch mit ihm den Abschluß im Residenztheater hätte feiern können. Aber ich bin noch immer sehr glücklich darüber, daß ich so viele Jahre mit ihm zusammenarbeiten durfte.
Der Schauspieler, der es sich aussuchen kann, wo er spielt, nämlich dort, wo er zu neuen Horizonten vordringt, den kauft man nicht so einfach ein. Einer wie Holtzmann blieb immer Holtzmann, mit ihm mußte man zusammen weiterkommen. Etwas anderes interessierte ihn nicht. Was Holtzmann auf der Bühne war, konnte man nicht inszenieren, das war nicht gespielt, das war nicht ausgestellt, sondern es war einfach so, und zwar mit einer ungeheuren Tiefe und Vielschichtigkeit. Daß er in meiner zweiten Shakespeare-Inszenierung, in Was ihr wollt, den sich der tragischen Lächerlichkeit preisgebenden Haushofmeister Malvolio übernommen hat, wo er doch bis dahin vornehmlich die edlen Figuren gespielt hatte, war ganz unglaublich. Wie er da mit ungeheurem Mut und auch einem Stück Wahnsinn in die Groteske gegangen ist, wie er da auf eine Charge zugesteuert ist, aber nicht um eine Charge zu spielen, sondern eine ganz irrwitzige Person an sich zu binden, versetzte uns wohl alle in höchstes Erstaunen und in Verzückung. Und es war in dieser Rolle die Geste des Tasso genauso enthalten wie die der Gnädigen Frau in den Zofen.
Malvolio war Holtzmann erster großer Auftritt ins menschlich Absurde, dem noch einige folgen sollten inklusive Jakob Pech im Käthchen, zu dem es leider nicht mehr kam.
Dieter Dorn