In einer Zeit, in der Autoren von Theaterstücken, die früher Dramatiker hießen, von der Bühne verbannt wurden, um Projekten, Adaptionen und Romanbearbeitungen Platz zu machen, sind die Namen von Tankred Dorst und Ursula Ehler schnell in Vergessenheit geraten. In den letzten zwanzig Jahren des vorigen Jahrhunderts waren sie noch in aller Munde. Seit dem „Merlin“, von Dieter Dorn in den Kammerspielen grandios inszeniert, verging kaum ein Jahr, ohne dass ein neues Stück von Tankred Dorst nicht nur in München auf die Bühnen kam - sie wurden in ganz Deutschland und dann in ganz Europa gespielt. Seit „Merlin“ stand auf den Buchausgaben und den Theaterprogrammen der Zusatz: Mitarbeit Ursula Ehler. Wir kennen diesen Zusatz von Brecht, bei dem es hieß: Mitarbeit Elisabeth Hauptmann. Wie genau diese Mitarbeit bei Dorst/Ehler aussah, kann ich aus eigener Anschauung beschreiben, weil wir rund zwanzig Jahre gemeinsam auf einem Stockwerk eines Bauernhauses in Ambach am Starnberger See gelebt (und uns sogar das Badezimmer geteilt) haben.
Wenn ich morgens nach unten in die Küche ging, hörte ich, wie das Paar schon an der Arbeit war. Tankreds sonore Stimme sagte einen Satz, Ursulas fränkisch eingefärbte Antwort folgte auf dem Fuße: Naa, der redt doch net so! Da ich natürlich nicht gelauscht habe, kann ich nicht sagen, wessen Satz-Fassung schließlich ins Buch übernommen wurde, aber ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass kein Satz, der dann später über Peter Lührs oder Rolf Boysens Lippen kam, ohne Ursulas Imprimatur in die Welt kam. War die Arbeit getan, legte sich Tankred im Garten in einen Liegestuhl und träumte von neuen Stücken, während Ursula ihrer weiteren Mit-Arbeit nachkam: Sie machte Essen und kochte Kaffee und servierte Kuchen, räumte auf und versorgte ohne zu murren die bald eintreffenden Gäste. Tankred und Ursula waren ein beliebtes Paar, unser Haus war ein Magnet für illustre Besucher, die sich unten am See oder im Garten und später in einem der Gasthäuser in der Nähe, „Fischmeister“ oder „Huber am See“, aufhielten: Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner, Produzenten, Schriftsteller und „ganz gewöhnliche Menschen“ wie wir. Die rote Ursula (die Haare waren rot, die Gesinnung rotliberal, wenn es so etwas gibt) war der Mittelpunkt: Ihre Präsenz, ihr Lachen, ihre schnörkellose Freundlichkeit waren überwältigend. Während Tankred saß, war Ursula in Bewegung, so etwa ließe sich das ausgeglichene Klima in unserem Haus beschreiben. Wahrscheinlich wären die beiden bis zu ihrem Tod (Tankred starb 2017, Ursula folgte ihm 2024) dort im Haus am See geblieben, wenn uns nicht der böse Hausbesitzer rausgeschmissen hätte: wegen Eigenbedarf, obwohl das Haus bis heute leer steht.
Mitarbeit Ursula Ehler. Sie hat nicht nur an den zwanzig Theaterstücken seit dem „Merlin“ mitgearbeitet, sondern auch an den Fernseh-Filmen, die die beiden schrieben und inszenierten, an den Romanen und anderen Prosaarbeiten. Sie war aber auch an der Regie des „Ring“ in Bayreuth (2006) beteiligt, diesem Mammutprojekt, an dem der ja damals nicht mehr ganz junge Tankred sich fast verhoben hätte. Für uns war das Schönste am Ring das Theaterstück, das die beiden nach den Proben bei uns in der Küche aufführten, reiner Beckett, wunderbares Endspiel: Selbst Tankred musste laut lachen, wenn Ursula den Gurnemanz nachmachte. Unvergessen auch die Erzählungen der beiden nach der Rückkehr von den strapaziösen Theaterreisen, die sie für das internationale Theaterfestival unternahmen, die Beschreibung der Hotelzimmer in Taschkent und die fast missglückten Landemanöver im Baltikum, die von Tankred einsilbig als „kurios“ eingestuft worden, von Ursula dagegen als fast geglückten Weltuntergang.
Ursula Ehler kam 1939 in Bamberg (Bambech) zur Welt, wo sie immer noch eine Wohnung im Haus der Eltern hatte, sie studierte zunächst Bildhauerei und wurde dann Bibliothekarin, bevor sie mit Tankred Dorst eine der meistgespielten Autorinnen des Theaters wurde. Sie starb am 26. Februar 2024 in Berlin.
Michael Krüger