Werner Hofmann, der am 8. August 1928 in Wien geboren wurde und am 13. März 2013 in Hamburg verstarb, war der letzte intellektuelle Nachkomme der einst, will sagen bis 1938, glanzvollen Wiener Schule der Kunstgeschichte. Er war ein brillanter, proteischer Kunstschriftsteller und kunsthistorischer Essayist und ein ingenöser Museumsdirigent, der die von ihm geleiteten Häuser in Wien und Hamburg durch seine erhellenden Ausstellungen zu kunsthistorischen Erkundungsstationen mobilisierte.
Mit seinen wissenschaftlichen Anfängen um 1950/60 bewegte er sich zwischen den beiden Polen Wien und Paris. Methodisch knüpfte er an die verschütteten – exilierten oder deformierten – Traditionen der Wiener Schule an. Als Territorium für seine Forschungen und als ästhetische Reizfläche aber wählte er Paris, die »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts«. Seine Dissertation schrieb er über die »Graphische Gestaltungsweise« von Honoré Daumier, also über Probleme der Karikatur. Das Verfahren der Karikatur beruht auf der Störung von Normen und Ordnung. Hofmann wird immer ein Diagnostiker mit nervöser Aufmerksamkeit für die Ambivalenz von künstlerischen Formen bleiben. 1956 publizierte er sein erstes Buch über Die Karikatur von Leonardo bis Picasso. Es ist bis heute ein »Reference-Book« geblieben.
In den späteren fünfziger Jahren war er wieder in Paris. Dort hat er damals eines jener seltenen Bücher geschrieben, welche auf das Antlitz einer ganzen Epoche ein neues Licht werfen. Sein verführerischer Titel lautete Das irdische Paradies. Wer dächte bei dieser verlockenden Titulatur nicht an Baudelaires Paradis artificiels? Hofmanns Buch erschien in dem Augenblick, als der Purismus der klassischen Moderne sich auflöste, als die letzten Avantgarden abtraten und das ganze Panorama der alltäglichen Bilder das Arcanum der absoluten Kunst überspülte. In dieser offenen Situation entwarf Hofmann ein entgrenztes Bild von der Kunst des Victorian Age und der Belle Époque, in welchem neben den Avantgardisten wie Cézanne oder Kandinsky auch Raum für die bisher verachteten Pompiers wie Delaroche oder Couture, für den Wintergarten Ludwig II. und Neuschwanstein war. Wir waren bei Erscheinen dieses Buches entrüstet, weil wir an der heroischen Idee der Sezession festhalten wollten, aber Hofmann hatte und ein neues Bild von der Kunst des 19. Jahrhunderts geschenkt.
Hofmanns berufliche Laufbahn begann an den Wiener Sammlungen, zunächst an der Albertina, dann an dem eben gegründeten Museum für moderne Kunst, an dem er mit empfindlichen Antennen die damalige Wiener Szene erkundete. Aber seine eigentliche Wirkungsstätte sollte die Hamburger Kunsthalle werden, an welche die Hanseaten den unkonventionellen Wiener beriefen. Hofmann vollbrachte das Wunder, die Kunsthalle zum interessantesten Museum der Republik zu machen. Was er zuvor als Forscher gedacht und geschrieben hatte, setzte er nun in Ausstellungen um. Jener Ausstellungszyklus Kunst um 1800, der 1974 mit Ossian begann und 1981 durch die Goya- Schule gekrönt wurde, war das fulminante Ereignis in der damaligen deutschen Museumslandschaft. Hofmann zeigte, daß Ausstellungen visuelle Gedankenspiele sein können, die Größe und Krisen der Kunst sichtbar werden lassen.
Aber Hofmann war nie nur Museumsboss. Er war ein ungemein produktiver Kunstschriftsteller. Der Wiener Intellektuelle, der aus der Stadt von Freud und Musil kam, hat nach den Spannungen und sinnlichen Signalen im Inneren der Bilder gefragt. Er hat eines der erhellendsten Manet-Bücher geschrieben. Keiner hat, so wie er, Klimt als den Seismographen des Wiener Fin de Siècle erfaßt. Unter der älteren Kunst hat ihm am intensivsten der »Manierismus« beschäftigt, ein Stil der Spaltungen und des Nicht-Eindeutigen. Hofmann hat dafür den Begriff der »Polyfocalité« erfunden. Dieser salamandrische Begriff der Polyfokalität war seiner eigenen Lebensspur eingeschrieben. Trotz glanzvoller Ämter war er, der Polyfokale, ein Außenseiter, und wie jeder echte Intellektuelle, war er nirgends ganz zu Hause. Man traf ihn in einem Hotel in Los Angeles mit dem neuesten Updike in der Hand und mit niemand konnte man so angeregt durch eine Pipilotti-Rist-Ausstellung in Paris streifen wie mit dem polyfokalen Wiener Werner Hofmann.
Willibald Sauerländer