Als eine feine, in sich ruhende und liebenswürdige Erscheinung hat man den Bildhauer Wilhelm Uhlig in Erinnerung, der immer wieder nach München kam, wenn Sitzungen unserer Akademie stattfanden, deren ordentliches Mitglied er beinahe vierzig Jahre lang war. Am 5. August 2022 verstarb er im hohen Alter von 92 Jahren.
1930 in Guttenberg/Oberfranken geboren, blieb der Künstler über die Jahrzehnte eng mit seiner fränkischen Heimat verbunden. Die Mutter stammte aus einem alteingesessenen Bauerngeschlecht in der westfränkischen Rhön und sein früh verstorbener Vater arbeitete als Schreiner und Möbelrestaurator in den Diensten des Freiherrn von Guttenberg. Uhligs Persönlichkeit und Werk formten gleichermaßen „kunsthandwerkliche Tradition und bäuerliche Kraft“, wie dies J.A. Schmoll genannt Eisenwerth treffend charakterisiert hat. Aus dieser Synthese erwuchs sein eminent schöpferischer Umgang mit den unterschiedlichen Materialien – insbesondere Stein und Bronze.
1951 begann der junge Uhlig sein Studium bei Hans Wimmer, dessen Meisterschüler er 1954 wurde, nachdem der Neubau der Akademie in Nürnberg erfolgt war. Bis 1959 hatte er diese Position inne. Sie hätte unterbrochen werden können, als 1955 kein Geringerer als Henry Moore ihm bei einem Besuch in England anbot, sein Assistent zu werden. Dies lehnte er jedoch ab, nicht zuletzt wohl auch aus Rücksicht auf seinen verehrten Lehrer, der ihn nur allzu ungern hätte ziehen lassen.
1959/1960 folgte ein Aufenthalt in Italien mit dem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Nach eigener Aussage wählte Uhlig Rom, „um die Antike zu studieren, um Naturstudien mit der Form zu vergleichen.“ Zur selben Zeit konstatierte er: „Ich sage dem Kunstbetrieb ab, mein Ziel ist für mich zu arbeiten: eine schöne Figur, einen guten Kopf ist das Ziel, das genügt.“ 1961 beschäftigte er sich mit dem Thema der sitzenden Figur, zunächst im Rahmen eines Auftrags. Im folgenden Jahr wurde ihm der Rompreis zuerkannt, wobei er die angefangene Figur als Gipsabguss in die Villa Massimo mitnahm, um sie dort nach seinen strengen Maßstäben zu vollenden. Die verdichtete Form der endgültigen Fassung dieses Römischen Jünglings, den er in Rom in Bronze gießen ließ, lässt erkennen, wie unmittelbar der Künstler auf die Eindrücke durch diese Stadt und die dort in situ erlebbaren Skulpturen der Antike reagiert hat. Die Spannung der Figur resultiert aus den permanent in ihr ausgetragenen Gegensätzen. Der auf einem hohen Hals sitzende, verhältnismäßig kleine und in den Details wundervoll durchgebildete Kopf mit den plastisch geformten Augen und dem summarisch angedeuteten Haar kontrastiert auffallend mit den überlangen, sich beinahe expressiv nach vorne schiebenden Beinen. Schlüsselbein und Arme erscheinen in eine tektonisch-strenge Trapezform eingebunden, während die lebensnahe Durchbildung von Thorax und Oberarmen durchaus sinnlich-körperlich wirkt. Jedes Detail ist von sprechender Lebendigkeit. So entstand ein bedeutendes Werk figürlicher Plastik im mittleren 20. Jahrhundert, das ihrem Schöpfer zu Recht große Anerkennung – unter anderen den Burda-Förderungspreis 1964 – eintrug. Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass die hochkarätig besetzte Jury mit so unterschiedlich arbeitenden Bildhauern wie Hans Uhlmann, Karl Hartung und Toni Stadler den künstlerischen Rang des Römischen Jünglings zwischen Sinnlichkeit und Formabstraktion zu würdigen wusste. Nicht zuletzt war die Figur ein Jahr darauf bei der internationalen Skulpturenausstellung im Middelheim-Park bei Antwerpen ausgestellt, was damals einem „Ritterschlag“ für Bildhauer gleichkam.
1969 hielt sich Uhlig mit einem Stipendium in Paris auf. Die Zeit in Italien jedoch, während der er auch Reisen nach Sizilien und Griechenland unternahm, war für seine eigene Entwicklung besonders prägend. 1972 wurde er Nachfolger von Hans Wimmer an der Nürnberger Kunstakademie, der er von 1984 bis 1987 als Präsident vorstand.
Das Schaffen des Bildhauers umfasst eine Fülle an weiblichen wie männlichen Akten und Torsi, an Bildnissen und Tierskulpturen. Daneben beschäftigte er sich auch mit Platzgestaltungen, und es entstanden Brunnen und Grabsteine. Seit 1979 führte ein Auftrag für die Steinfigur einer Großen Hockenden in München zu einer intensiven, mehrjährigen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Bezeichnend für den Künstler war die langwierige Erarbeitung vor dem Modell, wobei oft Dutzende von begleitenden Zeichnungen entstanden, die den Gegenstand in allen Facetten zu fassen suchten. In seiner schöpferischen Arbeit hat sich Uhlig die gleichsam schnellen „Ergebnisse“ stets versagt. Eine besonders lange Entstehungsphase prägte auch die Beschäftigung mit christlichen und kirchlichen Themen. Die Bodenständigkeit dieses Bildhauers fand ihren Widerhall in einer sehr persönlichen Haltung zum Religiösen, die tief in ihm verankert schien. So vermerkte er in seiner Biographie in Stichworten, er sei schon „ab dem 6. Lebensjahr“ Ministrant gewesen und erwähnte ausdrücklich, 1963 beim Tod von Papst Johannes XXIII. auf dem Petersplatz in Rom gewesen zu sein. Für die Jahre 1977/1978 hielt er fest: „Auftrag für das Roncalli-Stift Erlangen. Ich schlage Brunnen vor, um in Reliefs das Leben Johannes XXIII. darstellen zu können. Auf Motivsuche im Geburts- und Heimatort Johannes XXIII. Bekanntschaft mit der Familie, seinem letzten Bruder und Neffen. Erinnert mich an die eigene Heimat Rhön und Familie, bescheidene Bauersleute. Bin beschäftigt mit Biographien und dem Geistlichen Tagebuch von Johannes XXIII. in meinem Turm als Clausur. Arbeite wie ein Mönch. Köstliche Zeit!“
Bemerkungen wie diese spiegeln die Eigenwilligkeit und Authentizität eines Künstlers, in dessen besten Werken der Klassizismus eines Hans Wimmer geöffnet und verlebendigt erscheint. Wilhelm Uhlig war einer der bedeutenden Bildhauer in Deutschland, der in seinen Figuren „die verletzbare Würde des Menschen“ (Ulrich Gertz) zu bewahren trachtete.
Michael Semff