Ach, was für Zeiten! Die frühen mobilen Telefone von Siemens waren Handschmeichler in fröhlichen, bunten Signalfarben, Grüngelb, Signalrot, Azurblau, angenehm anzufassen in ihrem fast eiförmigen, frechen, zeitlosen Design. Angewandte Pop-Art zum Anrufen. Entwickelt hatte diese Linie Herbert H. Schultes. Schon damals, in den 1990er Jahren, blickte er geradezu verschmitzt durch seine dunkle, runde Hornbrille und antwortete auf die Frage, ob Design nachhaltig sein müsse, dass er sehr hoffe, dass seine Entwürfe zu Klassikern würden, aber das Produkt? Vielleicht ahnte er, dass Siemens den gesamten Bereich Telekommunikation ein paar Jahre später abgeben würde, wie so viele andere Sparten, für deren Produktgestaltung Herbert H. Schultes als Chefdesigner dieses globalen Unternehmens stand.
Tatsächlich hat er ein umfangreiches Vermächtnis hinterlassen. Er entwarf Klassiker des Industriedesigns, nicht nur für Siemens. Kein Rennen ohne die berühmten Skibindungen von Marker, hinten an der Ferse platziert, einfach zu bedienen, und in ihrer eleganten Keilform die ganze Dynamik des Abfahrtslaufs abbildend. Ein Entwurf, auf den er, wie er betonte, wirklich stolz war und der aus seinem so erfolgreichen Designbüro mit Norbert Schlagheck in den späten 1960er Jahren stammte. Wie zahlreiche andere Sportartikel, die er mit seinem sicheren Formempfinden, mit seiner Mischung aus Minimalismus und gestalterischen Ideenreichtum zu zeitlosen Design-Objekten machte. Vom Surfbrett über Lampen und Leuchtmittel, die legendäre Agfa Optima, die Kamera mit dem roten Sensor-Punkt, Möbel, Bulthaup-Küchen oder dem ICE Cockpit bis hin zu dem »Corporate Design« von Siemens, das er ab 1984 entwickelte. Eine gewaltige Aufgabe, die er mit bis zu 60 Mitarbeitern geradezu beispielhaft zum Erfolg führte. Das Team entwarf über 10.000 Produkte aus nahezu allen Sparten und erhielt dafür höchste Auszeichnungen.
Herbert H. Schultes, der Hochschule für Gestaltung in Ulm verbunden, deren Haltung er mit den für ihn typisch augenzwinkernden Abwandlungen auch vertrat – er war kein Asket der reinen Lehre – war mit einer bemerkenswerten Sicherheit im Sehen und im Umsetzen des Gesehenen in eine exakte Form begabt, die den Gegenstand hervorhob und ihn unverwechselbar und weltbekannt machte.
Sein Rezept? »Wenn man gut im Design sein will, muss man sich ganz für die visuelle Welt interessieren: Kino, Schauspiel, Oper, Architektur, Mode, Bildhauerei und Malerei.« Herbert Schultes war ein Mensch der Kultur, vor allem der Kultur des Sehens. Seine eigene Handschrift hat er nie in den Mittelpunkt gestellt. Der Begriff »Branding« war ihm fremd. Stattdessen ging es ihm »in erster Linie um die gute Gestaltung.« Und die hat er mit seinem ganzen Renommee, nicht nur auf den Designkongressen in aller Welt, sein Leben lang vertreten. Auch dies zählt zu seinem Vermächtnis.
Wilhelm Christoph Warning