Erfreulicherweise hat der Tod Wilhelm Killmayers vielfältige Reaktionen im publizistischen Bereich ausgelöst. Allerdings findet man überwiegend Einschätzungen ex negativo wie Unangepaßtheit, fern jeder Gruppen- und Schulbildung, Querständigkeit und Ähnliches. An all diesen Kriterien haftet ein Stückchen Wahrheit, die vor allem dem individuellen und eigensinnigen Einzelgänger gerecht zu werden trachtet.
Dennoch erscheint es ebenso wesentlich, im Positiven den grundlegenden ästhetischen Charakteristika seiner Musik nachzugehen, die eine immer stärker werdende Wirkungsgeschichte entfalten. Den Weg dazu sollen ein paar Eigenzitate aus »Die Voraussetzungen meiner Arbeit« und »Selbstauskunft« weisen.
Die humane Dimension der Killmayerschen Musik, die alle instrumentalen und vokalen Gattungen umfaßt, gründet in einer Orientierung am »Atemvorgang«, der jeden »erzeugten Laut« in ein natürliches Spannungsverhältnis zum anderen setzt. Hinzu kommt das Bewußtsein einer Physiologie der Bewegungsvorgänge, das Abläufe auf naturhafte Weise in ein Verhältnis von Spannung und Entspannung stellt:
»Laut und Stille ergeben sich also durch diese Notwendigkeiten« und regulieren weitgehend die kompositorischen Prozeduren. Erklingen und Verklingen stehen in einem natürlichen Verhältnis und erzeugen die für Killmayers Musik typischen magischen Momente.
Daraus ergibt sich eine formal vielgestaltige und material oft heteronome Verlaufsbildung, für die letztlich das individuell empfindende Subjekt verantwortlich zeichnet. Vorgegebene Kategorisierungen werden von vornherein vermieden, in einem Cage'schen Sinn wird dem Klangzeitgeschehen in seiner natürlichen Eigengesetzlichkeit kompositorisch vertraut: »ich glaube nicht, das Musik um jeden Preis fließen und schäumen muß … der Mensch ist vielschichtiger, neugieriger und widersprüchlicher, als der Markt und die Politik das vertragen«.
Diese Grundsätze ästhetischer Eigengesetzlichkeit trägt ein Œuvre, das sich nicht anbiedern kann. Killmayers Musik formuliert immer offene Angebote, die in freier Entscheidung angenommen werden können. Tritt Expression oder gar Überwältigung ein, so nur auf der Ebene einer erhörenden Freiwilligkeit. Daneben spielen Dimensionen des Humors und der Anmut eine zentrale Rolle, die man in dieser Bedeutung bei kaum einem anderen Vertreter der Neuen Musik wiederfindet. Deren Innovationspotential entsteht, wie Alfred Schnittke es einmal formulierte, weitgehend durch die Gewinnung von allzu Vertrautem als Neuem und Fremden. Die genau kalkulierten Verhältnismäßigkeiten zwischen tonalen und atonalen Partien zeichnen hierfür verantwortlich. Die ästhetische Fallhöhe, die nicht selten entsteht, formuliert einen wesentlichen Aspekt der zwingenden Werkdramaturgien.
Nehmen wir in dankbarer Erinnerung Killmayers Appell für die Zukunft mit, »daß unser Leben nicht weitere Systeme braucht, sondern Lücken in diesen … meine Musik lebt in der Vergangenheit und in der Zukunft und ist vielleicht gerade deshalb gegenwärtig.«
Siegfried Mauser