Erstbegegnungen mit Komponisten sind besonders prägend. In den 70er Jahren ging es an der Münchner Musikhochschule noch sehr streng und autoritär zu:
»Musik darf nicht schön sein!«
»Musik muß weh tun!«
»Keine Terzen, Sexten und Oktaven!«
»Es lebe die große Sept und die kleine Sekunde!«
»Melodien sind tabu!«
In dieser Zeit der totalen Verweigerung des Schönklangs und der Sinnlichkeit schlug im Mai 1970 im Staatstheater am Gärtnerplatz die musikalische Posse in einem Akt und vier Lobgesängen von Tankred Dorst und Wilhelm Killmayer ein wie eine Bombe. Da wagten zwei Künstler mit YOLIMBA alle gängigen Thesen und Formen der Neuen Musik in Frage zu stellen, begeisterten ein großes Publikum und gaben jungen Komponisten Mut, Darmstadt und Donaueschingen den Rücken zu kehren und eigene Wege zu gehen.
Bayern war Killmayers Lebensmittelpunkt, er hatte hier bei Carl Orff studiert, unterrichtete von 1955 bis 1959 am Trapp’schen Konservatorium (dem Vorläufer des Richard-Strauss-Konservatoriums), von 1973 bis 1991 war er Kompositionsprofessor an der Musikhochschule, 10 Jahre lang – von 1992 bis 2002 – leitete er als Direktor die Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Killmayers Stücke wurden mit der Zeit immer schlanker und kürzer, konzentrierten sich auf das Wesentliche wie in THE WOOD SO WILDE von 1970 mit einem Waldspaziergang, knackenden Ästen, einem Vogelschrei und dem Pochen des eigenen Herzschlags. »Magisch spielen!« lautet eine der Spielanweisungen. Die Auseinandersetzung mit Schumann und Hölderlin wurde immer intensiver. SCHUMANN IN ENDENICH hieß eine 8 Minuten dauernde Kammermusik für Klavier, Orgel und 5 Schlagzeuger, die Schumann nicht zitiert, aber dessen seelische Verfassung wiederzugeben versucht und gleichzeitig wie ein Selbstporträt Killmayers wirkt. Die Komposition KINDERTAGE hat in dieser Kammermusikreihe der 70er Jahre mit 12 Musikern die größte Besetzung. Reine Klänge dominieren, erinnern an eine unbeschwerte Kindheit, die im Klavierstück PARADIES noch einmal zum Thema gemacht wird. Sappho, Heine, Mallarmé, Eichendorff, Hölderlin, Goethe, Trakl, Peter Härtling und Lorca waren bevorzugte Dichter seiner in den letzten Jahren immer mehr dominierenden Vokalmusik. Unvergeßlich sind Killmayers Lesungen der eigenen Limericks, die zwischen Karl Valentin und Ernst Jandl angesiedelt sind.
»Ein einzelner Ton«, so sagte er einmal, »ist für mich etwas sehr Kostbares – wie ein Kristall oder eine Blume.« Und in einem Filmporträt, das zu seinem 70. Geburtstag gedreht wurde, äußerte er sich: »Da mir meine Assoziationen lieb sind, ist das ästhetisch Anrüchige für mich reizvoll. Das Sentimentale, das Hübsche, das Unordentliche, das Triviale, das Freche, Nette, Geschmacklose, das Unberechenbare, aus dem der Blitz kommt.«
Wilhelm Killmayer starb am 20. August, wenige Stunden vor seinem 90. Geburtstag.
Wilfried Hiller