Was ich dem Dieter zu danken habe
Wieder, wie vorletztes Jahr nach dem Tod von Josef Anton Riedl, schreibe ich exakt am Tag der Trauerfeier persönliche Erinnerungen für die Mitgliederversammlung der Akademie, fürs Jahrbuch und die Musiktexte.
Die Bayerische Akademie der Schönen Künste trauert um
DIETER SCHNEBEL
Ordentliches Mitglied der Abteilung Musik seit 1996 geb. 14 März 1930 in Lahr/Schwarzwald
gest. 20. Mai 2018 in Berlin
Der Trauergottesdienst mit anschließender Beisetzung findet am Dienstag, den 19. Juni 2018, um 10.30 Uhr in der St.-Annen-Kirche, Königin Luise-Straße 55
in 14195 Berlin-Dahlem statt.
Die Akademie wird ihres Mitglieds
in der nächsten Mitgliederversammlung gedenken.
Passend am Ort der Bekennenden Kirche werden sich nachher die Freunde, KollegInnen und übriggebliebenen Weggefährten treffen, um dem Komponisten und evangelischen Pfarrer (»Ich bin halt beides«) das letzte Geleit zu geben. Ich höre dann zeitgleich im Chiemgau unter der Kampenwand CDs mit seiner Dahlemer Messe und Stimmen (… missa est).
Ausgerechnet am Tag der Glossolalie, dem Tag des Heiligen Geistes und dem Geburtstag seiner Tochter ist er von uns gegangen, hat sich auf die Große Reise gemacht, in Vorfreude auf eine kleine Reise von Berlin nach Hamburg zur Aufführung von »Yes I will«, wie mir sein Sohn am Telefon sagte. Dies Stück planten und planen auch wir in der Bayerischen Akademie 2020 zu seinem 90sten in München, jetzt eben in memoriam.
1970 mein erster Besuch in der Münchner Ainmillerstraße, da war er gerade mit den Kindern eingezogen, die Begegnung mit seiner zweiten Frau Iris, der wunderbaren Kaschnitz-Tochter. Ich spielte ihm vom Tonband die ersten Aufnahmen mit »meinem« präparierten Klavier vor, samt noch geheim gehaltenen repetitiven Versuchen. Er hat es gemocht, mehr als der Jo … Durch Riedl waren wir uns begegnet, in dessen Ensemble hatte ich eine »Ki-No«-Aufführung technisch betreut.
Wie kein anderer hat Dieter meine Utopie eines »spirituellen Sozialismus« verstanden, dem entweder-oder von Agitation und Kontemplation ein sowohl-als auch von »äußerer und innerer Revolution« entgegen zu setzen.
1972 wurde ich von ihm mit meiner »Sophrosyne« beim Kompositionswettbewerb für die Schweizer Stiftung Alte Kirche Boswil vorgeschlagen. Die anderen Juroren Holliger und Huber haben mich eher gelitten. In der Alten Kirche Boswil konnte ich zweimal mehrere Monate lang leben und arbeiten, Jean Gebser kennenlernen, meine Stücke Dhyana, Dharana und Samma Samadhi schreiben und dem Dollar Brand/Abdullah Ibrahim zuhören.
Mundstücke, Schulmusik, Maulwerke und Visible Music gaben mir die entscheidenden Impulse, sein Großwerk Sinfonie X für Donaueschingen und seine einzige Oper Majakowskis Tod von 1998 beeindruckten mich nachhaltig. Im Hessischen Rundfunk hatte 1979 Ernst Albrecht Stiebler gemeinsame Uraufführungen mit dem Sinfonieorchester des HR unter Juan Pablo Izquierdo ermöglicht: mein Maitreya vor seinen Schubert Fantasien. Schnebels mehrfach veröffentlichter Text zur Situation der neuen Musik in Deutschland hatte auch mein Schaffen gewürdigt, er verrät nicht den Namen Walter Zimmermann und auch nicht den meinen, aber sicher weiß auch Walter, daß wir gemeint waren.
Die Neue Musik Szene hatte mich ja aus gutem Grunde (?) weg gebissen, wegen mangelnder Linientreue und meiner Flucht aus dem Eurozentrismus, aber der Dieter hat mir zeitlebens die Stange gehalten, weil er immer über den Tellerrand der Aprèsgarde hinausgesehen hat. Kaum jemand hat mich so ermutigt wie er. Ich danke seinem Wohlwollen und behalte ihn stets im Herzen.
Peter Michael Hamel, Aschau im Chiemgau am 19.6.2018, frühmorgens