Einen wichtigen Anstoß zu einer brisanten kulturpolitischen Debatte gab Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München und Direktor der Abteilung Bildende Kunst an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, in seinem Vortrag „Sind Steine unschuldig? Zum Umgang mit NS-Architektur“. Aktueller Anlass sind die Pläne des britischen Star-Architekten David Chipperfield zum Umbau des ehemaligen NSKulturtempels Haus der Kunst in München. Dieser will das Ausstellungshaus als „schönen Kunsttempel“ inszenieren, ihn gleichsam in den Originalzustand von 1937 zurückführen. Nerdinger kritisiert die „Geschichtsblindheit“ der vorgelegten Pläne, es findet keine Aufklärung statt, die kenntlich macht, dass das Gebäude ursprünglich als Propagandainstrument in einem funktionalen Zusammenhang mit einer Ideologie steht, die zum Holocaust geführt hat. Die geplanten Umbauten setzen sich nicht mit der rassistischen, menschenverachtenden Weltanschauung auseinander. Die große Chance wird vertan, ein „Lernen am historischen Ort, eine kritische Aufarbeitung mit den baulichen Zeugen“ zu entwickeln. Chipperfield lege ohne vorherige fachliche Diskussion einen Plan vor, der nur ein weiteres „Symptom fortdauernder Geschichtsverdrängung“ sei. Doch mit öffentlichem Druck können Modifizierungen erreicht werden. Diese Ansichten wurden von der großen Mehrheit der anwesenden Zuhörer geteilt. Die rege Beteiligung an der anschließenden Diskussion und die immense Besucherzahl, die die Öffnung eines zweiten Saals mit Videoübertragung des Vortrags erforderlich machte, zeigten das starke Interesse der Münchener an diesem brisanten Thema.