„Der Ruhm hat keine weißen Flügel, sagt Balzac; aber wenn man wie ich die letzten 15 Jahren lang von den Nazis als Schwein, von den Kommunisten als Trottel, von den Demokraten als geistig Prostituierter, von den Religiösen als pathologischer Nihilist öffentlich bezeichnet wird, ist man nicht so scharf darauf, wieder in diese Öffentlichkeit einzudringen.“
Gottfried Benns fulminantes Comeback in den Nachkriegsjahren ist ohne den Einfluß von Hans Paeschke nicht zu denken. Paeschke gründete 1947 die heute etablierte Kulturzeitschrift „Merkur“ und versuchte mit allen Mitteln, Gottfried Benn zur Mitarbeit zu bewegen. Die zitierten Sätze stammen aus dem „Berliner Brief“ – Benns Antwort auf die erste Annäherung Paeschkes. Dieser Brief, in dem Benn pessimistisch auf sein Leben zurückblickt und dabei versucht, die Erfahrungen der Jahre zu verarbeiten, in denen er nicht publizieren durfte, gilt als das berühmteste Dokument seiner umfangreichen Korrespondenzen. Paeschke bat ihn in einer euphorischen Reaktion auf diesen Text, den Brief im „Merkur“ drucken zu dürfen. Damit beginnt die für beide Seiten ergiebige Korrespondenz, die sich über acht Jahre, bis zum Tod von Benn 1956 hinzieht. „Sollte es schlecht ausgehn, ist es mein Abschied für Sie und von Ihnen. Seien Sie meiner Freundschaft versichert“, schreibt der kranke Benn noch wenige Monate vor seinem Tod an Hans Paeschke: Was mit dem „Berliner Brief“ beginnt, endet mit dem berührenden Gedicht „Kann keine Trauer sein“, das er seinem Brief beilegt. Thomas Combrink
Kann keine Trauer sein
In jenem kleinen Bett, fast Kinderbett, starb die Droste
(zu sehn in ihrem Museum in Meersburg),
auf diesem Sofa Hölderlin im Turm bei einem Schreiner,
Rilke, George wohl in Schweizer Hospitalbetten,
in Weimar lagen die großen schwarzen Augen
Nietzsches auf einem weißen Kissen
bis zum letzten Blick –
alles Gerümpel jetzt oder gar nicht mehr vorhanden,
unbestimmbar, wesenlos im schmerzlos-ewigen Zerfall.
Wir tragen in uns Keime aller Götter,
das Gen des Todes und das Gen der Lust –
wer trennt sie: die Worte und die Dinge,
wer mischte sie: die Qualen und die Statt,
auf der sie enden, Holz mit Tränenbächen,
für kurze Stunden ein erbärmlich Heim.
Kann keine Trauer sein. Zu fern, zu weit,
zu unberührbar Bett und Tränen,
kein Nein, kein Ja,
Geburt und Körperschmerz und Glauben
ein Wallen, namenlos, ein Huschen,
ein Überirdisches, im Schlaf sich regend,
bewegte Bett und Tränen –
schlafe ein!
Gottfried Benn, für Merkur, 6.1.1956